15. April 2017
Pro&Contra: Großbritannien – Land ohne Zukunft?

Pro&Contra: Großbritannien – Land ohne Zukunft?

Der Brexit spaltet nicht nur die Briten. Ist der EU-Austritt ein Segen für Großbritannien oder sein Untergang? Zwei Vermögensberater geben ihre Einschätzung

Pro – Wirtschaftliche Selbstbestimmung kann Berge versetzen

Der Brexit ist ein leuchtendes Zeichen für die Demokratie. Großbritanniens Bürger haben entschieden, in Freiheit und Selbstbestimmung ihren eigenen Weg zu gehen. Daran kann ich beim besten Willen nichts Schlechtes sehen. Es ist nun eine ganz andere Frage, wie die EU, insbesondere ihre Vertreter in Brüssel aus politischem Kalkül reagieren. Wirtschaftlich macht es weder für die EU noch für Großbritannien Sinn, Handelsbarrieren aufzubauen.

Aber selbst wenn: Großbritannien ist aufgrund von Rechtssicherheit und der Verbundenheit mit den Nationen des Commonwealth und weit darüber hinaus ein geschätzter Partner. Auch hilft die englische Sprache, Brücken zu bauen. Ich wäre nicht überrascht, wenn Großbritannien in kürzester Zeit eine ganze Reihe von vorteilhaften Handelsabkommen schließt, die es im Rahmen der Europäischen Union so nie hätte erzielen können. Alleine die geplanten Abkommen mit den USA, Indien oder Australien zeigen auf, wo es in Zukunft hingehen kann.

Die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Selbstbestimmung der Briten kann Berge versetzen. Für Investoren bietet ein solcher Wandel neben den offensichtlichen, kurzfristigen negativen Folgen viele Chancen. Alleine der tiefe Fall des britischen Pfunds macht Investitionen in Großbritannien für ausländisches Kapital interessant. Die Nachfrage nach Immobilien hat in der Folge auch wieder angezogen.

Auch sind Reisen nach Großbritannien deutlich günstiger geworden. Der ansteigende Tourismus bietet Chancen für all die Unternehmen, die von Millionen ausgabefreudigen Besuchern profitieren. Ganz allgemein hat sich zudem die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie mit einem niedrigen Pfund stark verbessert.

Fazit: Es ist bei Weitem nicht alles gut in Großbritannien, aber die zukunftsorientierte Dynamik, die sich entwickelt, wird allgemein unterschätzt. Und unterschätzte Anlagenmöglichkeiten sind für Investoren mit Weitblick gute Nachrichten.

Zum Autor: Dr. Patrick Cettier

Pro&Contra: Großbritannien – Land ohne Zukunft? Dr. Patrick Cettier ist geschäftsführender Partner bei der Prio Partners GmbH in Zürich. Er hat knapp zwei Jahrzehnte Erfahrung im Kapitalmarkt und war unter anderem für McKinsey & Company, für das Private Banking der UBS und mehrere Privatbanken tätig. Dr. Cettier studierte klassische Betriebswirtschaft an der ESB Reutlingen und Northeastern University in Boston und verfasste seine Dissertation über Behavioral Finance.

 

Contra – Großbritannien versinkt in wirtschaftlicher Isolation und Bedeutungslosigkeit

Die Weltwirtschaft ist in den vergangenen Jahren immer verzahnter geworden, gerade auch durch politische Rahmenbedingungen, die den Freihandel fördern. Diese Errungenschaft werden die Briten mit dem Austritt aus der EU nun opfern. Die EU wird den Briten keine großen Gefälligkeiten einräumen; zu groß wäre die Gefahr, dass dann auch andere EU-Mitglieder über einen Ausstieg nachdenken.

Neben der Einführung von Zöllen wird der bürokratische Aufwand für britische Unternehmen erheblich steigen. Beides wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit und deren Gewinne reduzieren. Die Folge: Britische Unternehmen werden Personal von der Insel nach Kerneuropa verlegen. Das planen nicht nur Banken und Finanzdienstleister. Gleiches hört man von produzierenden Unternehmen, die bereits Arbeitsplätze unter anderem nach Deutschland verlagern.

Die Briten importieren aktuell nicht nur den größten Teil ihrer Produkte für den täglichen Bedarf, sondern auch langlebige Konsumgüter. Das fallende britische Pfund sorgt bereits jetzt für deutlich steigende Preise für verschiedenste Produkte. Steigende Inflationsraten, einhergehend mit einer Schrumpfung der Wirtschaft, könnten die Ökonomie in eine Spirale des Niedergangs führen. Eine politisch allseits gefürchtete Stagflation (steigende Preise, sinkende Wirtschaftsleistung) könnte die Folge sein.

Alle aufgezeigten Szenarien könnten zu einer Erosion der Steuereinnahmen führen, was zu steigender Staatsverschuldung und steigenden Zinsen mit entsprechenden Folgen auch für die Unternehmen haben wird. Ratingagenturen könnten das Land zusätzlich herabstufen, einhergehend mit weiteren negativen Auswirkungen auf Zinsen und dem britischen Pfund.

Politisch können weitere Bomben platzen. Kürzlich hat das schottische Parlament mit deutlicher Mehrheit (über 72 Prozent) gegen den Austritt aus der EU gestimmt. Ein neues Referendum mit einer Trennung vom Königreich mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen ist denkbar.

Zum Autor: Uwe Eilers

Pro&Contra: Großbritannien – Land ohne Zukunft? Uwe Eilers ist Vorstand der Geneon Vermögensmanagment AG in Königstein im Taunus. Bankkaufmann und DVFA/CEFA Investmentanalyst mit Börsenerfahrung von weit über 20 Jahren bei Daiwa Securities, Lehman Brothers und ab 1997 als Sales-Trader für institutionelle Kunden, unter anderem bei Cantor Fitzgerald in Frankfurt und London.  Handelsrichter am Landgericht Frankfurt.

 

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