16. Januar 2023
Notenbanken: Sollten Aktionäre auf ein kleines Wunder hoffen?

Notenbanken: Sollten Aktionäre auf ein kleines Wunder hoffen?

Eine restriktive Notenbanken-Politik ist oft schädlich für die Wirtschaft. Sollten Aktionäre jetzt zumindest auf eine weiche Landung hoffen?

Notenbanken spielen eine zentrale Rolle, wenn es um wirtschaftliche Perspektiven geht. Klar ist auch: Eine sehr restriktive Geldpolitik der Notenbanken führt in den allermeisten Fällen zu einer Rezession. Eine der ganz wenigen Ausnahmen war das Jahr 1994. Damals kam es zu einer weichen Landung. „Dies ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt“, sagt Benjamin Bente, Geschäftsführer der Vates Invest GmbH. „Doch derzeit setzt der Aktienmarkt ausschließlich auf dieses Szenario – und blendet die höheren Wahrscheinlichkeiten aus.“

Wie restriktiv waren die Notenbanken?

Die Notenbanken, allen voran die Fed, demonstrierte in den vergangenen Monaten Härte bei der Inflationsbekämpfung. Der Grad ihrer Restriktivität zeigt sich unter anderem in den sehr deutlich invertierten Zinsstrukturkurven in den USA. „Ein Blick in die Empirie und die Geschichte zeigt, dass auf einen derartigen Restriktivitätsschock so gut wie immer eine Rezession folgte – mit einem Zeitversatz von einigen Monaten“, sagt Bente. „Insofern wäre 2023 das Jahr, in dem diese Rezession eintreten müsste.“

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Zugleich zeigt der Markt aber ein gänzlich anderes Verhalten: Schwache Konjunkturdaten werden derzeit nicht als Vorboten einer rezessiven Entwicklung gesehen, sondern im Gegenteil positiv gefeiert. „Damit lässt ja der Inflationsdruck nach, was die Notenbanken milder stimmen sollte“, sagt Bente. „Und grundsätzlich ist in dieser Kausalkette auch nichts verkehrt.“ In jeder Rezession sanken früher oder später die Inflationsraten und die Notenbanken nahmen dann den Druck weg.

Diese beiden Säulen würden unter einer Rezession leiden

„Doch der Aktienmarkt hat ja nicht nur eine Seite, lebt nicht nur von Liquidität. Es gibt auch noch die andere Seite, die Gewinndynamik, die in Rezessionen massiv bedroht ist“, sagt Bente. „Diese zweite Seite, die konjunkturellen Gefahren der Geldpolitik, werden aber aktuell komplett ausgeblendet.“ Die Überlegungen des Marktes sind dabei einfach nachzuvollziehen: Eine schwache Konjunktur heißt Abschwächung der Inflation, damit ist der Höhepunkt der Restriktivität überschritten, was ein positives Umfeld für Aktienmärkte wäre. „Hier handelt es sich um eine rein monetäre Argumentation, die zweite Seite der Medaille wird völlig ignoriert“, so Bente.

Eine leichtfertige Erklärung für dieses Verhalten ist wie so häufig: Dieses Mal ist alles anders. „Die Geschichte zeigt jedoch: Immer, wenn Marktteilnehmer ‚this time is different‘ sagten, waren dies die vier teuersten Worte“, sagt Bente. „Weil es eben nie wirklich anders war.“ Die Gesetzmäßigen bleiben immer die gleichen – doch zurzeit trägt der Markt Hoffnung.

Der Ausreißer von 1994

In den vergangenen Jahrzehnten gab es einen berühmten Ausnahmefall – 1994/95 – als eine sehr restriktive Geldpolitik am Ende nicht in eine breite volkswirtschaftliche Rezession überging. „1994 gab es auch einen massiven Restriktivitätsschock durch die Notenbank, es gab einen Anleihen-Crash und es gab Aktienmärkte, die unter Druck kamen“, sagt Bente. „Doch damals hat es sich nicht weiter in die Breite der Volkswirtschaft gefressen.“ Die Rezession ist ausgeblieben.

Wenn dieses Rezessionsrad einmal in Gang gesetzt ist – das war 1994 der Fall und das ist es auch jetzt – dann dreht es sich in den allermeisten Fällen in einer Selbst-Dynamisierung bis hin zu einer breiten volkswirtschaftlichen Rezession. Warum es in Ausnahmefällen wie 1994 vorher stoppte und es zu einem soft landing kam, lässt sich nicht zwingend erklären. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass an den Kapitalmärkten stets mit Wahrscheinlichkeiten operiert wird und nie mit absoluten Gewissheiten. Und das heißt, dass es immer auch Ausnahmefälle gibt“, so Bente. „Das bedeutet aber nicht, dass ‚alles anders‘ war und dass sich die Regeln grundsätzlich geändert haben.“ Bereits Ende der 1990er-Jahre/Anfang 2000, als die Geldpolitik wieder restriktiv wurde, kam es 2001 wieder zu einer Rezession und zu einem sehr ausgeprägten Bärenmarkt.

Der 1994er-Ausgang ist jederzeit möglich, theoretisch auch jetzt. Allerdings deuten die historischen Wahrscheinlichkeiten klar in eine andere Richtung. „Nur weil sich der Aktienmarkt derzeit wie 1994 verhält, heißt das nicht, dass er das auch in den nächsten Wochen und Monaten noch tun muss“, sagt Bente. „Wenn sich die Konjunkturdaten weiter verschlechtern, wird der Markt aus der 1994er-Hoffnung aufwachen und die Rezession anerkennen müssen.“ Dann werden negative Konjunkturnachrichten keine positiven Nachrichten für den Aktienmarkt mehr sein.