Carsten Mumm (Donner & Reuschel): Ukraine, Inflation, Zinswende - der Staat muss jetzt eingreifen
Ukrainekrieg, Inflation bei knapp 8 Prozent, steigende Energiepreise und Zinswende: Derzeit treiben uns viele Themen um. Mit Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei Donner & Reuschel, haben wir darüber gesprochen, wie relevant diese und weitere Themen in der kommenden Zeit sein werden.
Herr Mumm, Sie müssen ja derzeit viele Fragen rund um die aktuelle Situation beantworten. Daher wäre meine allererste Frage tatsächlich, welche Fragen Sie denn am häufigsten beantworten müssen.
Die häufigste Frage ist tatsächlich die nach den Auswirkungen des Ukraine-Konflikts. In dem Zusammenhang geht es vor allem um die möglichen Auswirkungen für Deutschland, die im Falle eines Gas-Lieferstopps eintreten könnten. Das ist das prominenteste Thema zurzeit – wobei die relevantesten Themen aus meiner Sicht weiterhin China, Corona, und die daraus resultierenden Lieferkettenprobleme, bleiben.
Warum sehen Sie in diesem Thema die höhere Relevanz?
Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass wir auf funktionierende Lieferketten angewiesen sind. Während sich in dem Bereich schon eine leichte Besserung abzeichnete, hat der Ukraine-Konflikt den Trend wieder unterbrochen. Das zumindest kurzfristig größte Risiko ergibt sich aus den seit eineinhalb Monaten anhaltenden strikten Lockdowns in China. Wobei die aus Russland kommenden Drohgebärden natürlich ein zusätzliches, unkalkulierbares Risiko darstellen.
Wie ist Ihre Einschätzung bezüglich der Zinswende in den USA? Glauben Sie, dass sich das konkret auf Europa auswirkt?
In meinen Augen kann die Zinswende sowohl für Europa als auch für China und die globale Wirtschaft zu einem Problem werden. Dies wäre der Fall, wenn die Fed so stark einbremst, dass das Wirtschaftswachstum in den USA abgewürgt wird und es zu einer Rezession kommt. Insgesamt bin ich relativ optimistisch, dass die Fed auf die wirtschaftliche Abkühlung achtet, bzw. bis sich der heiß gelaufene Arbeitsmarkt etwas entlastet, und wir bei einer Leitzinserhöhung von nur zwei und einem Viertel Prozent landen.
Der entscheidende Punkt ist jedoch: wenn einer der globale wichtigen Wirtschaftsregionen USA China oder Europa aufgrund der individuellen Belastungsfaktoren in die Rezession rutschen, dann ist die Gefahr eines Schneeballeffektes für andere Regionen oder die globale Wirtschaft relativ hoch. China steht aktuell kurz davor, zumindest im zweiten Quartal ein negatives Wachstum aufzuweisen. Auch wenn die Wachstumserwartungen in den letzten vier, fünf Monaten stets nach unten korrigiert wurden und die Inflationserwartungen nach oben, sehe ich das Basisszenario für alle Regionen noch positiv. Die Wahrscheinlichkeit eines Rezessionsszenarios steigt allerdings mit jedem Tag, an dem wir diesen enormen Unsicherheitsfaktoren begegnen.
Hebt die EZB den Leitzins im Sommer auch an?
Ich denke schon. Mit Sicherheit wird sie diesen Sommer die Netto-Neu-Wertpapierkäufe auf null herunterfahren. Das ist in meinen Augen wichtig als auch überfällig, da die negativen Nebeneffekte der ultra-expansiven Geldpolitik zu groß werden. Negative Realzinsen erzeugen volkswirtschaftliche Fehlallokationen. Es wird Kapital in weniger produktiven Investitionen gebunden und die Altersvorsorge ist ein großes Problem. Die Staaten haben keinen Anreiz mehr, die Schulden zu reduzieren oder vernünftig zu haushalten.
Die EZB muss umsteuern und wird dies wohl auch tun. Wahrscheinlich wird sie die Netto-Neukäufe ab dem dritten Quartal auf null setzen und auch Anhebungen des Einlagenzinses vornehmen. Ich denke, dass eine Null bei den Einlagenzinsen am Jahresende durchaus realistisch ist sowie auch ein Leitzins von 0,5 Prozent.
Wo sehen Sie die Gründe für die Anhebung?
Ich denke, dass der gesellschaftliche und politische Druck aufgrund der inflationären Entwicklung zu groß wird. Auch wenn die EZB den steigenden Ölpreisen nicht trotzen kann, kann sie dennoch die Notwendigkeit bekräftigen, die zwei drohenden Effekte einzudämmen. Das eine sind Zweitrundeneffekte aufgrund steigender Inflationserwartungen, also beispielsweise deutlich steigende Löhne.
Der zweite Aspekt ist der aktuell schwache Euro. Wir sind nicht mehr so sehr weit von der Parität entfernt. Das könnte in den nächsten Wochen durchaus in den Blick geraten. Spätestens dann wird die EZB verbal intervenieren und dafür sorgen, dass die einfach importierte Inflation nicht eintreten wird.
Und glauben Sie, wenn Sie ein paar Jahre in die Zukunft schauen, dass uns eine harte Zeit bevorsteht? Laufen wir in Deutschland Gefahr, vermehrt Armut zu sehen?
Nein, das glaube ich nicht. Der schleichende Kaufkraftverlust der Mittelschicht hat in den letzten Jahren ein immenses Ausmaß angenommen. Trotz Nullzinsen, ist der Durchschnittsverdiener in Deutschland nicht länger imstande sich in den Metropolen eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen. Die Situation hat sich bereits zugespitzt, doch steigt zunehmend der gesellschaftliche, und vor allem politische Druck, dies zu ändern. Ich bin sogar der Meinung, dass derzeit erkennbar ist, dass auch langfristige Zyklen zu Ende gehen.
Die jahrzehntelange angebotsorientierte Politik – mit weniger Regulierungen, sinkenden Zinsen, mehr Markt, größeren Freiheiten für die Unternehmen, Deregulierung etc. – hat dazu geführt, dass der Wohlstand in den letzten Jahren zweifellos stark gestiegen ist. Auch die Globalisierung hat dazu beigetragen. Doch wurde der Wohlstand aus volkswirtschaftlicher Sicht ungerecht verteilt. Gerade die Mittelschicht, als auch untere, und mittlere Einkommenssegmente, haben nicht die Lohnsteigerungen und auch nicht die Vermögenpreissteigerungen erfahren.
Entsprechend gehe ich davon aus, dass wir künftig eine eher nachfrageorientierte Politik sehen werden, bei der der Kuchen besser verteilt wird. Vor dem Hintergrund der Inflation erfahren Lohnsteigerungen einen anderen Druck, sind aber auch politisch gewollt. So werden beispielsweise Mindestlöhne angehoben. Ein wichtiger Aspekt in dem Zusammenhang wäre auch, die Vermögensallokation zu verändern und Anreize dafür zu setzen. Gerade in Deutschland brauchen wir eine höhere Beteiligung am Produktivkapital der Volkswirtschaften – beispielsweise über Aktien, Immobilien usw. Der Staat kann und sollte hier aktiv eingreifen.
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Halten Sie die Aktienrente für eine gute Idee?
Grundsätzlich ja. Bei der Ausgestaltung sollte man allerdings nicht zaghaft, sondern wesentlich zielführender vorgehen. Wir geben so viel Geld aus, zur Zukunftssicherung, da sollte man der Zukunft auch positiv begegnen. Bei all den aktuellen Unwägbarkeiten, stehen Marktwirtschaften und Demokratien unter enormem Druck. Selbst Europa ist dem Druck ausgesetzt, den Wandel – sowohl auf Staaten- als auch auf Unternehmensseite – zu produzieren. Dieser Wandel wird Investitionen hervorrufen und erfordert ein Umdenken.
Wie würden Sie eine Aktienrente gestalten?
Ich würde einen opportunen Weg gehen und eine Art Geburtsprämie ausloben. Nicht um die Geburtenrate zu erhöhen, sondern einfach um ein Startkapital – von einigen hundert Euro – ins Leben zu rufen. Auch nur unter der Auflage, dass damit ein Depot oder ein Fondssparplan eröffnet wird. Ich denke, dass dies dazu führen könnte, junge Menschen schneller an das Thema heranzuführen und ein breites Verständnis für Wirtschaftsthemen und Märkte zu schaffen.