Marktanalyse: „Value-Sektoren und Zykliker haben aktuell Rückenwind“
Durch die Impfstoffe haben die Börsen weltweit einen guten Lauf. Doch einige Sektoren haben noch viel Aufholpotenzial. ETF-Experte Stefan Kuhn von SPDR erläutert, welche Branchen aktuell attraktiv bewertet sind und welche fundamentalen Aspekte die Kurse weitertreiben können.
Herr Kuhn, das Jahr 2020 war ein ganz besonderes. Was waren die wichtigsten Entwicklungen und Trends in der gesamten ETF-Branche?
Es gibt aus meiner Sicht zwei spannende Entwicklungen, die nach dem Corona-Ausverkauf im ersten Quartal stattgefunden haben. Anleger haben nach dem Sell Off sehr schnell wieder Positionen aufgebaut und im ETF-Bereich verstärkt auf nachhaltige Investitionsmöglichkeiten gesetzt. Zum anderen hat das vergangene Jahr gezeigt, dass sich der ETF-Sektor immer stärker zu einem Aktien- und Rentenmarkt wandelt. Historisch betrachtet war der ETF-Sektor eigentlich immer stärker von der Aktienseite her geprägt. Da findet aktuell ein Umschwung statt. Renten-ETFs verzeichnen mittlerweile ein starkes Wachstum.
Welche Beobachtungen haben Sie im Bereich der Renten-ETFs gemacht?
Renten-ETFs haben um den Corona-Sell-Off herum gezeigt, dass sie halten, was sie versprechen. Sie sind ein liquides Instrument, um Allokationsentscheidungen umsetzen zu können. Auf der Rentenseite fragen immer mehr institutionelle Anleger entsprechende Produkte nach. Das bedeutet, dass auch auf der Seite der Retail-Kunden eine entsprechende Nachfrage da ist, denn institutionelle Anleger verwalten ja in der Regel die Gelder von Privatpersonen. Alles in allem ist davon auszugehen, dass die Nachfrage sowohl nach nachhaltigen ETFs als auch nach Renten-ETFs weiterhin steigen wird.
In einem Analysepapier von SPDR wird angemerkt, dass Anleger verstärkt von Wachstumstiteln auf Value- Aktien umschwenken. Was verbirgt sich dahinter?
Die US-Wahl und die Meldungen zu den Corona-Impfstoff en lassen aus Sicht vieler Marktteilnehmer auf ein wirtschaftlich gutes Jahr 2021 hoffen. Das ist Rückenwind für zyklische Sektoren und auch für Value-Sektoren.
Welche Sektoren könnten besonders interessant sein?
Zum Beispiel Finanztitel aus den USA. Dort ist die Zinsstrukturkurve steiler als beispielsweise in der Euro-Zone, so dass die Banken bessere Möglichkeiten haben, attraktive Zinsmargen zu verdienen. Zudem dürften aufgrund des Konjunkturaufschwungs die Kreditausfallraten zurückgehen. Positiv stimmt uns auch, dass die Banken in den USA wieder Aktien zurückkkaufen dürfen. Die Aktienund Rentenmärkte waren zudem in den vergangenen Monaten recht robust, so dass sich dies positiv in den Geschäftszahlen der US-Finanztitel widerspiegeln dürfte. Die anderen beiden zyklischen Sektoren sind die Bereiche Werkstoffe und Industriewerte.
Welche regionalen Schwerpunkte setzen Sie im Bereich der Werkstoffe und der Industriewerte?
Wir haben grundsätzlich folgende Dreiteilung: USA, Europa und den globalen Bereich. Bei den Finanzwerten setzen wir ausschließlich auf US-Werte. Bei den Werkstoff en sehen wir Europa und den Bereich „Welt“ vorne, nicht die USA.
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Was sind die Gründe hierfür?
Bei den Materials, also den Werkstoffen, profitieren europäische Anbieter sehr von der Nachfrage aus den Schwellenländern. Die Schwellenländer, das sollte man hier einmal kurz anmerken, sind aus unserer Sicht diejenigen Regionen, in denen im laufenden Jahr wohl das stärkste Wirtschaftswachstum erzielt werden dürfte. Da rund ein Drittel der Umsätze des europäischen Materials-Sektors aus den Emerging Markets stammt, haben die europäischen Anbieter Rückenwind. Dasselbe gilt für den Bereich „Welt“. Hier sehen wir relativ gute Bewertungen bei den Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) und attraktive Dividendenrenditen.
Wie lautet Ihre Einschätzung für die Industriewerte (Industrials)?
Bei den Industrials halten wir alle drei Regionen – also die USA, Europa und den globalen Sektor – für aussichtsreich. Der US-Sektor ist aufgrund der aktuellen Dollarschwäche interessant. 70 Prozent der Umsätze entstehen außerhalb der USA, so dass der schwache Dollar die Exportnachfrage begünstigt. Wir sind aber aufgrund des positiven Konjunkturausblicks für die gesamte Weltwirtschaft positiv gestimmt.
Im sogenannten „Sektor Kompass“ von SPDR werden darüber hinaus die Chancen des Bereichs Healthcare (Gesundheit) betont. Dies ist ein eher defensiver Sektor, oder?
Richtig, der Bereich Healthcare ist der einzige defensive Bereich unter den vier Sektoren, die wir in unserem „Sektor Kompass“ herausstellen. Dieser fügt sich damit gut in das Gesamtbild bzw. Gesamtportfolio ein. Wir glauben, dass das Thema Corona-Impfstoffe weiter tendenziell positiven Einfluss auf die Märkte haben wird. Wir sehen hier keine großen regionalen Unterschiede und halten daher die Bereiche USA, Europa sowie „Welt“ für gleichermaßen attraktiv in dieser Branche. Diese ist übrigens sehr vielseitig. Man deckt hier Biotech mit ab, aber auch Pharma, und damit ein breites Spektrum von potenziellen Profi teuren im Bereich der Corona-Impfstoffe.
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Ist Sektor-Investing eher eine taktische oder eher eine strategische Herangehensweise?Wie schätzen Sie dies in puncto Anlagehorizont ein?
Durch Sektor-Investing können Anlegerinnen und Anleger Schwerpunkte in ihrem Gesamtportfolio setzen, die eher taktischer Natur sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass Sektor-Investing lediglich auf kurzfristige Anlagezeiträume abzielt. Der Sektor Healthcare (Gesundheit) beispielsweise ist nicht nur ein oder zwei Quartale interessant, sondern bietet durchaus langfristiges Potenzial. Die Einschätzungen in unserem quartalsweise erscheinenden „Sektor Kompass“ ändern sich von Ausgabe zu Ausgabe in der Regel nicht grundlegend. Es sei denn, es gibt fundamentale Umschwünge wie im vierten Quartal 2020 mit der Präsidentschaftswahl in den USA sowie den Neuigkeiten zu den Covid-Impfstoffen.
Wie oft sollten Anleger die Sektorgewichtung in ihrem Geamtportfolio denn überprüfen, wenn es sich nicht um einen reinen Buy-and-hold-Ansatz handelt?
Mindestens einmal jährlich erscheint dies absolut sinnvoll. Man kann dies jedoch auch in kürzeren Intervallen vornehmen, dies sollte man individuell für sich prüfen. Man sollte sich nicht über mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte festlegen, wie es beispielsweise in sehr marktbreiten Indizes möglich ist. Dafür ist die Diskrepanz der Performance der einzelnen Sektoren einfach zu groß. Hier kann es durchaus zu sehr starken Unterschieden kommen.
Viele Fragen unserer Leserinnen und Leser erreichen uns in letzter Zeit zu Tech-Aktien bzw. Tech-ETFs. Wie beurteilen Sie diesen Sektor?
Der Technologie-Sektor bleibt langfristig weiterhin aussichtsreich, viele Technologie-Trends haben sich während der Krise zweifelsohne verstärkt. Wir glauben jedoch, dass aufgrund der wirtschaftlichen Erholung nun andere Themen und Branchen stärker in den Fokus der Märkte rücken und damit auf einer relativen Basis besser performen könnten als der Tech-Bereich. Dies ist jedoch kein Votum gegen Tech, sondern ein Votum für die bereits angesprochenen Sektoren. Denn hier gibt es einfach größeren Nachholbedarf in puncto Performance.
Eine letzte Frage zur grundsätzlichen Entwicklung der ETF-Branche. Diese hat bereits einige Rekordjahre hinter sich. 2020 haben Anleger in Deutschland mehr als 700.000 neue ETF-Sparpläne eingerichtet. Kann das so weitergehen?
Die Chancen stehen gut, dass die Entwicklung weiterhin positiv bleibt, wobei wir tatsächlich bereits sehr gute Jahre hinter uns haben. Es hat sich bei institutionellen und bei Privatanlegern immer mehr die Überzeugung durchgesetzt, dass ETFs ein sinnvolles Vehikel sind, um Investitionsentscheidungen umzusetzen. Insbesondere die Entwicklung bei den ETF-Sparplänen ist erfreulich. Diese sind für mich der Inbegriff der strategischen Asset Allocation für den langfristigen Vermögensaufbau.