22. Juli 2021
Negativzinsen - darum leisten sie einen Beitrag zur Börsenkultur.

Negativzinsen sind ein Segen für Sparer – also hört endlich auf zu jammern!

Die deutschsprachigen Medien sind wieder voll von Berichten über die angeblich verheerenden Auswirkungen der EZB-Geldpolitik. Dabei leisten die Negativzinsen einen wichtigen Beitrag für die Börsenkultur in Deutschland. Eine Streitschrift! 

Sieben Billionen Euro! Das ist laut einer im April veröffentlichten Erhebung der Deutschen Bundesbank der Betrag, der zum Ende des vergangenen Jahres auf den Konten deutscher Sparerinnen und Sparer schlummerte. Aufgrund der aktuellen Minus- und Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verlieren diese sieben Billionen Euro inflationsbereinigt stetig an Kaufkraft. Zudem erheben immer mehr Banken und Broker in Deutschland sogenannte Verwahrentgelte. Dies ist nicht anderes als ein Euphemismus für: Negativzinsen. 

Der Neobroker Justtrade * zum Beispiel bittet seine Kundinnen und Kunden bereits ab dem ersten Euro Einlage auf einem Wertpapierverrechnungskonto mit minus 0,5 Prozent zur Kasse. Und auch die ING *, die vor etlichen Jahren noch mit Super-Zinsen auf ihrem Tagesgeld warb und Millionen von Kunden anlockte, erhebt ab November ab 50.000 Euro Einlage ebenfalls Strafzinsen in Höhe von 0,5 Prozent. Betroffen davon sind mindestens 700.000 Kunden. Nach eigenen Angaben der ING liegen rund acht Prozent der insgesamt neun Millionen Privatkunden mit ihren Guthaben oberhalb des Freibetrags von 50.000 Euro.

Rekordkurse und Negativzinsen

Kein Wunder also, dass spätestens seit diesem Jahr der Frust in der Breite der Bevölkerung immer mehr zunimmt. Befeuert wird dies auch durch die mediale Berichterstattung. Viele deutsche Börsen- und Wirtschaftsmedien haben bereits in der Ära von Mario Draghi als EZB-Präsident die Geldpolitik der Zentralbank harsch kritisiert. Auch ich habe in mehreren Artikeln die Nullzinspolitik gerügt und die potenziellen Gefahren in den Fokus gerückt. 

Aber ganz ehrlich, was nützt das Jammern? Ist es wirklich hilfreich, deutschen Sparerinnen und Sparern einzutrichtern, sie würden „enteignet“? Oder das Narrativ zu bedienen, deutsche Sparerinnen und Sparer müssten die Zeche zahlen, um „italienische Pleitebanken“ künstlich am Leben zu erhalten? Geradezu absurd wird es insbesondere dann, wenn Börsenmagazine in der einen Ausgabe die Kursrekorde an den Aktienmärkten abfeiern und in der anderen Ausgabe auf die EZB einprügeln, als wäre da eine Verbrecherbande am Werk. 

Denn: Unstrittig ist, dass die Nullzinspolitik der EZB die enormen Kurshöhen der Aktienmärkte erst ermöglicht hat. Dieser Zusammenhang wird komischerweise fast nie in einem Atemzug genannt. Ob einzig und allein marketingtechnisches Kalkül dahintersteckt? Die Frage muss sich jeder selbst beantworten. 

Grundrecht auf Zinsen – ernsthaft?

Besonders abstrus mutet die Meinung des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof an. Dieser vertritt bereits seit Jahren die Ansicht, jeder Mensch habe ein Grundrecht darauf, sein Eigentum wirtschaftlich zu nutzen. Die EZB würde diese Möglichkeit jedoch über ihre Nullzinspolitik verbauen.

Nur um sich das mal auf der Zunge zergehen zu lassen. Kirchhof betrachtet Zinsen also als ein Grundrecht! Warum nicht gleich noch ein Grundrecht auf Dividenden und Kursgewinne? Oder ein Grundrecht auf Gewinne aus unternehmerischer Tätigkeit? Aber Polemik beiseite.

Das Argument von Kirchhof ist natürlich Nonsens. Der gute Herr negiert ja indirekt damit, dass man auch Ausweichmöglichkeiten hat. Wer mit der Wirtschaftlichkeit seiner Spareinlagen unzufrieden ist, hat ja – wie jedes Wirtschaftssubjekt – die Möglichkeit, auf alternative Anlageformen umzuschwenken. Möglicherweise ist ihm das einfach entgangen.

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Das Argument von Kirchhof läuft ohnehin ins Leere, wenn man bedenkt, dass die Negativzinsen nicht direkt von der EZB erhoben werden sondern von den Banken selbst. Denn: Die EZB verlangt von keinem deutschen Sparer einen Negativzins, lediglich von den Banken. Diese wiederum dürfen Verträge mit ihren Kunden gestalten, wie sie möchten.

Vertragsfreiheit nennt sich das – und auch wenn ich kein Jurist bin, so bin ich ziemlich sicher, dass sich die Vertragsfreiheit aus Artikel 2 des Grundgesetzes (Allgemeine Handlungsfreiheit) ableiten lässt. Wie schon erwähnt, gehört dazu auch die Handlungsfreiheit, seine Konten abzuräumen und das Geld in alternative Anlagen zu investieren. 

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Darum sind Negativzinsen ein Segen

Und da sind wir nun auch schon bei der Überschrift dieses kleinen Meinungsstücks angelangt. Die Negativzinsen sind deswegen ein Segen für deutsche Sparerinnen und Sparer, weil sie nun erstmalig „unternehmerisch“ tätig werden müssen, um Erträge zu erwirtschaften. Erstmalig entwickelt sich ein echtes Bewusstsein dafür, dass man für die Generierung von Rendite ein gewisses Maß an Eigenständigkeit aufbringen muss.

Warum sollten Aspekte wie Eigenverantwortung und Eigeninitiative, die beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt geräuschlos als absolute Grundlagen des dortigen Marktprinzips akzeptiert werden, nicht auch für den Kapitalmarkt gelten? Wer über Kapital verfügt oder eben Kapital aufbauen möchte, ist in der Pflicht, sich den Gegebenheiten des Marktes zu stellen und das Beste aus den Rahmenbedingungen zu machen.

Zumal die Zeiten nie besser waren, um langfristig Vermögen aufzubauen und anzulegen. Das Angebot an Anlagelösungen ist reichhaltig und groß wie nie. Gleichzeitig sinken tendenziell die Produktkosten (siehe ETFs). Und die sogenannten Neobroker wie Trade Republic *, Scalable Broker & Co. sorgen dafür, dass sich die Preise bei den Banken für Depots und Wertpapiertransaktionen in Richtung Null bewegen. 

Also, Schluss mit der Jammerei. Das Lamentieren über Negativzinsen hat noch nie jemanden wohlhabend gemacht. ETF-Sparpläne hingegen schon! Die Zeit ist reif, endlich anzufangen. 

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