16. Juni 2025
Ivan Durdevic, Leiter ETF-Distribution Deutschland, Österreich und Schweiz bei J.P. Morgan Asset Management

"Wichtiger ist die Time in the market als Timing the market."

Was bringen die US-Zölle und wie sollten sich Anleger jetzt aufstellen? Antworten von Ivan Durdevic, Leiter ETF-Distribution Deutschland, Österreich und Schweiz bei J.P. Morgan Asset Management.

Die US-Zölle und Konflikte belasten die Börse. Wie würden Sie die derzeitige Lage an den Kapitalmärkten zusammenfassen? 

In den Monaten seit Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Trump, kam es zu einem deutlichen Anstieg der Volatilität an den Aktien-, Anleihen- und Devisenmärkten. Zwar wurden zahlreiche der am  „Liberation Day“ in den USA angekündigten Zölle ausgesetzt und die Verhandlungen mit China führten zu einer Senkung der Zollsätze zwischen den USA und China für 90 Tage, doch bleibt der effektive Zollsatz historisch hoch. Und es bleibt abzuwarten, wie die Einigung mit Europa letztendlich ausfallen wird.

Angesichts einer derart erhöhten Handelsunsicherheit könnte es für Anlegerinnen und Anleger verlockend sein, das Weite zu suchen und ihr Engagement in risikoreichen Anlagen zu reduzieren. Es gibt aber zwei gute Gründe, an der Richtigkeit dieser Strategie zu zweifeln.

Erstens: Während die Handelsunsicherheit die Wachstumsaussichten weiterhin belasten dürfte, haben die Marktbewegungen in den letzten Wochen gezeigt, wie stark sich die Märkte nach positiven Nachrichten erholen können. Es ist wichtig, sich nicht von den Schlagzeilen überrollen zu lassen.

Zweitens ist es wichtig, die potenziell bevorstehende geld- und haushaltspolitische Unterstützung nicht zu unterschätzen. Regierungen auf der ganzen Welt könnten beschließen, mit höheren Ausgaben oder Steuersenkungen auf die wahrscheinlichen Wachstumseinbußen durch Zölle zu reagieren, um heimische Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbraucher zu unterstützen. In diesem Szenario könnte sich der Marktfokus eher auf Inflationsrisiken als auf mögliche Wachstumsrisiken verlagern. Eine Unterbrechung der Lieferketten und weniger effiziente globale Handelsmuster könnten die Inflation ebenso in die Höhe treiben wie Wechselkursschwankungen.

US-Zölle werden wahrscheinlich auch die Deregulierungsagenda in vielen Ländern beschleunigen. Als Reaktion auf die US-Autozölle ändert beispielsweise Großbritannien seine Vorschriften für Elektrofahrzeuge, um die Geschwindigkeit zu verringern, mit der die Hersteller ihre Verkäufe von konventionellen Fahrzeugen auf Elektrofahrzeuge umstellen müssen. Diese Art der regulatorischen Lockerung wird auch im übrigen Europa eine Rolle bei der Unterstützung der Industrie spielen.

Die Bedeutung potenzieller konjunktureller Gegenmaßnahmen für die Wirtschaft und den Markt sollte nicht übersehen werden – sie haben häufig dazu beigetragen, die Erträge diversifizierter Portfolios nach Schocks zu stützen. Anlegerinnen und Anleger sollten sich daher nicht von Schlagzeilen verunsichern lassen, sondern stattdessen sicherstellen, dass ihre Portfolios so angelegt sind, dass sie gegenüber einer Reihe möglicher Entwicklungen ausreichend widerstandsfähig sind.

Können die USA am Ende möglicherweise doch von der Trumpschen Zollpolitik profitieren, etwa in Form von Industriearbeitsplätzen?

Ich befürchte, dieser Effekt lässt auf sich warten. Wir haben beispielsweise gerade die Ergebnisse der  April-Umfrage der National Federation of Independent Business (NFIB) erhalten. Diese ergab, dass die Investitionsabsichten kleiner US-Unternehmen derzeit auf dem niedrigsten Stand seit 2013 liegen. Diese gehen in der Regel den getätigten Investitionen voraus und so braucht es einige Zeit, bis sich diese Korrelation in den tatsächlichen Daten widerspiegelt. Die Umfrageergebnisse machen allerdings deutlich, dass die tatsächlichen Investitionen bereits ins Stocken geraten sind, und angesichts des gedämpften Niveaus der aktuellen Investitionsabsichten erwarten wir in den kommenden Monaten eine weiter anhaltende Abschwächung. Wir gehen zwar davon aus, dass sich die US-Handelspolitik letztlich auf einem moderateren Niveau einpendeln wird, aber die NFIB-Veröffentlichung deutet darauf hin, dass der Schaden, der durch die erhöhte Unsicherheit entstanden ist, nicht so leicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Das heißt auch wenn sich die Wachstumsaussichten der USA verbessert haben, da die Zölle zurückgegangen sind, zeigen sich die Risiken sind immer noch eindeutig abwärtsgerichtet.

Sollte man jetzt den US-Aktien-Anteil im Depot reduzieren?

Nicht nur angesichts der aktuellen Unsicherheiten rund um die USA ist es sinnvoll, sich möglichst breit aufzustellen. Europa bietet beispielsweise derzeit überzeugende Investitionsmöglichkeiten, etwa in Sektoren wie erneuerbare Energien und Infrastruktur, die von der EU-Politik unterstützt werden. Die in vielen globalen Indizes aktuell vorherrschende Übergewichtung von US-Aktien zugunsten europäischer Titel zu reduzieren hilft also, das Chancen-Risiko-Verhältnis im Portfolio zu verbessern. Deshalb sehen wir aktives Management im aktuellen Umfeld als besonders wichtig an.

Tipp: Die Portfolio-Aufteilung ist immer von Bedeutung. Schau dir dazu also gleich unseren Risikokapazitätsrechner an.

Sollten sich die großen Wirtschaftsregionen bei den Zöllen einig werden, sind dann bald wieder neue Rekordstände bei Welt-ETFs drin?

Ein breit diversifizierter Welt-ETF ist immer ein gutes Kerninvestment – auch wenn einigen der hohe US-Anteil ein wenig Sorge bereitet hat. Aber wenn man in die Vergangenheit blickt, hatten die USA bei der Länderzusammensetzung im MSCI Welt bereits häufiger einen sehr großen Anteil, während etwa in den 80er Jahren Japans Anteil sehr groß war und sogar die USA übertroffen hat. Das heißt nicht, dass das starke Übergewicht einiger weniger Tech-Titel nicht kritisch zu sehen ist, aber die Korrekturen der letzten Monate ​haben bereits dazu beigetragen, die unnatürlich hohe Konzentration in einigen wenigen Technologie Titeln zu reduzieren.

Raten Sie in unsicheren Zeiten, wie aktuell, zu Aussitzen oder zu aktivem Handeln?

Wichtiger ist die „Time in the market“ als „timing the Marktes“ – gerade mit langem Anlagehorizont ist das Aussitzen eine gute Entscheidung, denn sonst verpasst man schnell die Aufwärtsbewegung! 

Die klassischen Lehrbücher sehen eine passive Buy-and-Hold-Strategie vor. Weshalb setzen Sie dann verstärkt auf aktive ETFs?

Das widerspricht sich nicht. Buy and hold ist wie oben beschrieben sehr sinnvoll – und mit aktivem Management sind sogar noch Zusatzerträge möglich! Gerade mit unseren Research Enhanced Index ETFs erhalten Anlegerinnen und Anleger eine bewusste Indexnähe, das bedeutet, die Regionen, Sektoren oder auch Stile bleiben neutral zum Index. Gleichzeitig können wir dank unseres fundamentalen Researchs und aktiven Portfoliomanagements mittel- bis langfristig auf eine Überrendite abzielen.

Tipp: Mit dem extraETF Portfolio Tracker kannst du deine Investments analysieren und dein Vermögen an einem Ort überwachen – einfach, schnell und sicher.

Nehmen wir die globale Research Enhanced Index Strategie als Beispiel. Mit dieser Strategie konnten wir in mehr als 20 Jahren, in der wir diese bereits in anderen Vehikeln gemanagt haben, den MSCI World durchschnittlich mit über 0,80 Prozent pro Jahr übertreffen. Es wird dabei immer wieder auch kurzfristig einmal Phasen geben, in denen die Entwicklung unter dem Index liegen kann. Jedoch zeigen unsere Daten, dass wir in mehr als zwei Jahrzehnten mit sehr unterschiedlichen Kapitalmarktumfeldern und -Herausforderungen bei einem 5-Jahreshorizont den MSCI World stets übertreffen konnten. J.P. Morgan Asset Management ist ein traditionell aktiver Manager – 99 Prozent unseres verwalteten Vermögens von 3,6 Billionen US-Dollar werden aktiv gemanagt. Und so war es für uns nur logisch, unsere aktiven Strategien auch als ETF anzubieten – so gibt es unseren aktiven Welt ETF mit dem Ticker „JREG“ bereits seit 2018.

Vielen Anleger sind aktive ETFs noch nicht vertraut. Können Sie das Konzept kurz erklären?

Sehr gern! ETFs sind so genannte Exchange Traded Funds – auf Deutsch übersetzt heißen sie „Börsengehandelte Fonds“. Das heißt der Name besagt in keiner Weise, dass sie einen Index passiv abbilden müssen, was häufig irrtümlich angenommen wird. 

Grundsätzlich haben aktive ETFs, sofern sie in Irland domiziliert sind, die gleichen strukturellen Vorteile wie passive in Irland domiziliert ETFs, nämlich tägliche Transparenz, flexible Handelbarkeit, Liquidität bis hin zu Vorteilen bei der Quellensteuer für US-Dividenden. Dazu ermöglichen es die aktiven ETFs aber auch noch, je nach Anlageziel eine langfristige Outperformance gegenüber dem Basisindex zu erzielen und gleichzeitig das Risiko im Laufe der Marktzyklen zu managen. Aktive ETFs kombinieren somit das Beste aus zwei Welten: Die der aktiven Investments und die des ETFs.

Wir sehen, dass immer mehr Anlegerinnen und Anleger den ETF-Mantel aufgrund seiner Vorteile wie Transparenz und Liquidität schätzen – und so bieten aktive ETFs für viele einen guten Weg, aktive Strategien zu erschließen. Besonders institutionelle Investoren bevorzugen aktives Management und gehörten gleichzeitig zu den Vorreitern bei der Nutzung von ETFs. Wir können beobachten, dass sie aktive ETFs vermehrt einsetzen, um passive Investments zu re-aktivieren. Diesen Trend können wir nun auch immer mehr bei Privatanlegerinnen und -anlegern beobachten.

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Welche Vor- aber auch Nachteile ergeben sich aus dem Konzept aktiver ETFs?

Als Vorteil gegenüber rein passiven Strategien profitieren die aktiven ETFs von den Erkenntnissen unseres fundamentalen Researchs. So können sie wie bereits erwähnt höhere Renditen als der Index erzielen. Es gibt aber auch Strategien, die einkommensorientiert gemanagt werden und so regelmäßig attraktive Ausschüttungen ermöglichen. Im festverzinslichen Segment können die aktiven ETFs zudem das Kredit- und Ausfallrisiken besser managen und natürlich besser auf die Zentralbankpolitik reagieren. 

Ein Nachteil mag sein, dass die Kosten aktiver ETFs etwas höher ausfallen, als bei rein passiven ETFs, wobei die möglichen Zusatzrenditen dies mittel- bis langfristig ausgleichen, sodass die Renditen nach Kosten überzeugen. Dass dies nicht in allen Marktumfeldern kurzfristig gelingt, mag man ebenfalls als Nachteil definieren, denn es gibt immer wieder Marktphasen, in denen die Märkte nicht rational agieren. Der Blick auf die eben genannten langfristigen Erfolge zeigt aber, dass sich dies mit einem etwas längeren Anlagehorizont mehr als ausgleicht, aber ein bisschen Geduld ist schon sinnvoll.  

Aktive ETFs lassen sich flexibler gestalten. Worauf achtet J.P. Morgan?

Wir achten vor allem darauf, die Erkenntnisse unseres seit Jahrzehnten etablierten und vielfach ausgezeichneten aktiven Researchs in die Aktienauswahl einfließen zu lassen. Nehmen wir als Beispiel die bereits erwähnte “Research Enhanced Index”-Reihe (kurz REI), deren Konzept bereits seit den 1980er Jahren bewährt ist, also lange bevor wir es als ETF angeboten haben. Dafür werden indexähnliche regionale, sektorale und stilistische Engagements mit aktivem Management kombiniert. Das „Enhancement“ kann durch die Nutzung der Erkenntnisse des besagten globalen Teams von über 80 Research-Analysten in Kombination mit unser unserer technologisch führenden Asset Management Plattform „Spectrum“ erreicht werden.

Der Investmentansatz der REI-Strategien verfolgt das Ziel, aktienspezifische Erkenntnisse aus unserem Research auf das Portfolio zu übertragen, wobei die Struktur der Portfolios indexähnlich bleibt. Dies wird durch die Kombination des fundamentalen Researchs mit robustem Risikomanagement erreicht. Das globale Analystenteam covert über 2.500 Aktien und nutzt dafür einen disziplinierten Bewertungsrahmen, der im gesamten Unternehmen Anwendung findet. Die hierbei ermittelten Erkenntnisse führen dann dazu, dass bestimmte Aktien leicht über- oder untergewichtet werden. Das Endergebnis ist ein stilneutrales, sektorneutrales und regional neutrales ETF-Portfolio zum MSCI World bzw. den S&P 500 Index.

Die REI-ETFs sind für Anleger interessant, die ein breit diversifiziertes ETF-Portfolio suchen, das ein Engagement in einer Standard-Benchmark mit Marktkapitalisierung bietet und gleichzeitig einen robusten ESG- Rahmen anwendet. Sie können bestehende Kernallokationen erweitern und diversifizieren. Mit inzwischen 13 verschiedenen REI ETFs bieten wir die größte aktive UCITS ETF-Palette für Aktien.

Viele Anleger setzen ohnehin nicht ausschließlich auf passive Welt-ETFs. Wie können sich solche Anleger gegenwärtig aufstellen?

Ähnlich wie bei institutionellen Anlegern könnte die Reaktivierung des passive Welt ETFs mit einem aktiven globalen Aktien-ETF langfristig attraktiv sein. Grundsätzlich bieten sich alle Research Enhanced Index ETFs hierfür an, da es inzwischen ein breites Angebot gibt, wie etwa für Europa (Ticker: JREE) oder die Eurozone (Ticker JREZ), wenn man diese Region nun etwas stärker gewichten möchte. 

Eine weitere Alternative könnten auch einkommensorientierte ETFs sein, welche eine so genannte Covered Call Strategie mit einem Aktienportfolio kombinieren. Diese eignen sich für Anleger, die regelmäßige Ausschüttungen erzielen wollen oder auch eine etwas konservativere Aktienlösung suchen. Wichtig hierbei ist zu beachten, dass es das Ziel dieser „Equity Premium Income“-Strategie ist, eine Ausschüttungsrendite bei geringerer Volatilität als der Index zu erzielen und nicht den Index zu übertreffen. Daher tendieren diese Lösungen bei Bullenmärkten etwas schwächer zu performen als die Benchmark, gleichzeitig neigen sie dazu bei Seitwärtsbewegungen oder Bärenmärkten attraktiver zu performen.