9. Juli 2022

ESG & Smart Beta: Wie gut sind nachhaltige Faktor-ETFs?

Nachhaltige ETFs erweisen sich im Vergleich zu klassischen ETFs in puncto Rendite als mindestens ebenbürtig. Doch gilt das auch für die Kombination aus ESG und Smart Beta? Wir haben den Check gemacht – mit erstaunlichem Befund!

Der Trend bei Geldanlagen geht derzeit klar in Richtung Nachhaltigkeit. Gerade Privatanleger greifen beherzt bei den nachhaltigen ETFs zu, die meist mit den Kürzeln ESG oder SRI bedacht sind. Nun zeichnet sich ein weiterer logischer Schritt ab: nachhaltige Smart-Beta- ETFs! Die Anleger wollen nachhaltig investieren und trotzdem den Markt schlagen. Aber kann das mit sogenannten Faktoren wie „Small Size“, „Value“ oder „Momentum“ in Kombination mit nachhaltigen ETFs funktionieren?

Smart-Beta-ETFs

Lass mich dir zunächst Smart- Beta-ETFs und die genannten Faktoren vorstellen. Smart-Beta-ETFs oder Faktor-ETFs sind grundsätzlich normale ETFs, die jedoch die Grundsätze der passiven und aktiven Anlageform vereinen. Anstatt einen Index wie den MSCI World marktneutral abzubilden, folgen Smart-Beta-ETFs einer anderen Strategie. Die Zusammenstellung erfolgt mit Hinblick auf sogenannte Faktorprämien. Das heißt, dass der Index aktiv in Richtung des gewählten Faktors ausgerichtet wird. Durch einen Smart-Beta-ETF soll also eine bestimmte Marktbesonderheit im eigenen Depot übergewichtet werden, so dass die Rendite durch das hierdurch veränderte Risikoverhältnis langfristig erhöht wird.

Faktorprämien selbst sind wissenschaftlich nachgewiesene objektive Merkmale, die durch ein geändertes Rendite-Risiko-Profil eines Index auftreten. Manche Anleger nennen sie auch Rendite-Risiko-Treiber. Damit ein Marktgeschehen als Faktorprämie eingestuft wird, müssen jedoch zunächst einige wesentliche Kriterien erfüllt werden. So muss eine Faktorprämie langfristig von verschiedenen Wissenschaftlern erforscht, dokumentiert und bestätigt worden sein. Zudem darf eine solche Prämie nicht nur in bestimmten Märkten auftreten, sondern muss flächendeckend nachgewiesen werden können.

Ob und wie Faktorprämien funktionieren, ist immer anhand des bestimmten Faktors zu erklären und kann nicht generell auf alle Faktoren übersetzt werden. Die drei bekanntesten Faktoren, Small Cap, Value und Momentum, werde ich dir zum besseren Verständnis von Faktorprämien näher vorstellen.

Der Faktor Small Cap

Beim Small-Cap-Faktor oder auch Small-Size-Faktor werden Nebenwerte bzw. kleinere Unternehmen, sogenannte Small Caps, im Depot übergewichtet. Small Caps sind jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Kiosk von nebenan, schließlich handelt es sich um börsennotierte Unternehmen, die einen Marktwert von über 100 Millionen Euro besitzen. Zudem tummelt sich eine sehr viel größere Anzahl von Small Caps auf den Märkten als beispielsweise von den bekannten Large Caps, zu denen Unternehmen wie Apple, Microsoft oder SAP zählen. Der Index-Betreiber MSCI hat herausgestellt, dass Small Caps ungefähr 14 Prozent des gesamten Marktvolumens ausmachen.

Wenn man den marktneutralen MSCI World anschaut, stellt man fest, dass keine Small Caps im Index enthalten sind, sondern lediglich Large Caps und Mid Caps. So darf man durchaus davon sprechen, dass man sogar im eigenen Depot gegen solche Unternehmen wettet, wenn man keinen entsprechenden Small-Cap-ETF zusätzlich auswählt. Um jedoch den Small- Cap-Faktor zu nutzen, reicht es nicht aus, das Depot so aufzustellen, dass die Small Caps nun 14 Prozent im Depot einnehmen. Um Small-Size-Factor-Investing zu betreiben, muss man vielmehr die Small Caps im Vergleich zur marktneutralen Einteilung höher gewichten.

Doch weshalb verspricht man sich bei Small Caps eine höhere Rendite als bei einem marktneutralen ETF? Ein Aspekt ist ganz klar das verschobene Rendite-Risiko-Verhältnis. Denn es ist wahrscheinlicher, dass kleinere Unternehmen Schiffbruch erleiden als beispielsweise Apple oder Adidas. Die Theorie besagt, dass man durch das erhöhte Risiko langfristig mit einer Mehrrendite belohnt wird.

Der Faktor Value

Es gibt verschiedene Ansätze, wie man den Value-Faktor definiert. In diesem Artikel geht es um den wissenschaftlichen Value-Begriff, der unter anderem von den Wissenschaftlern Eugene Fama und Ken French geprägt wurde. Die im Index enthaltenen Value-Aktien sind aus Sicht ihrer wirtschaftlichen Bilanzen günstig bewertet. Hierbei geht es weniger um vergangene Kursentwicklungen als um den Kurs zum Status quo, der in Relation zu den Kennzahlen des Unternehmens günstig erscheint.

Das Gegenteil von diesen Value-Unternehmen sind die oft bekannteren Wachstumsunternehmen (Growth). Diese Growth-Aktien findet man oft in Finanzmagazinen, wenn über die nächsten Börsen-Stars spekuliert wird. Value-Unternehmen spielen in solchen Präsentationen meist keine so große Rolle. Sie wirken oft nicht besonders attraktiv, da sie meist in Branchen arbeiten, die eher altmodisch und bieder wirken. Beispielsweise findet man unter den Value-Titeln vermehrt Bank- oder Infrastruktur Unternehmen und weniger Unternehmen wie Amazon, Paypal und Co. Über den genauen Grund dieses Faktors streiten sich die Gelehrten. Es dürfte sich wohl um eine Mischung aus Risiko und Marktirrationalität hinsichtlich des aktuellen Kurses handeln.

Der Faktor Momentum

Den Momentum-Faktor kann man für einen schnellen Überblick sehr gut mit Sportphrasen erklären. So hat man sicherlich schon die Sätze „Never change a winning team“ oder „wenn’s läuft, dann läuft’s“ gehört. So hat der Trainer beispielsweise keinen Grund, seine siegreiche Mannschaft zu ändern, und kann mit ihr bis zur Meisterschaft stürmen.

Ähnlich verhält es sich mit Momentum-Indizes. Denn fachlich gesprochen ist das Momentum bei Aktien die Tendenz, die vergangene positive Entwicklung des Kurses für die nächsten rund zwölf Monate fortzusetzen. Doch so wie eine siegreiche Mannschaft auch einmal satt werden kann und in der nächsten Saison plötzlich in Abstiegsnöte kommt, so ist auch die Tendenz bei solchen Momentum-Aktien, dass nach einer gewissen Zeit das Momentum aufhört und sich in das Gegenteil verkehrt.

Daher obliegt es dem Index-Hersteller, den Index regelmäßig mit neuen Momentum-Aktien zu füttern und die Stars von gestern auszusortieren, damit der Anleger weiter vom Momentum-Faktor profitieren kann. Hier versteckt sich jedoch auch ein kleiner Nachteil. Durch diese Umwälzungen innerhalb des Index entstehen erhöhte Transaktionskosten für den ETF-Anbieter. Diese reicht er meist an die Anleger weiter. Dies mündet oftmals in eine höhere jährliche Gesamtkostenquote. Somit kann sich der Faktor durch diese erhöhte Gesamtkostenquote etwas relativieren.

Zudem könnte die Erklärung für die Momentum-Prämie einige Anleger abschrecken. Denn die Wissenschaftler einigten sich auf die Anlegerirrationalität als Grund für die bessere Performance der Momentum-Indizes. Somit liegt es rein im Verhalten der Anleger, ob die Strategie aufgeht. Dass der Momentum-Faktor funktioniert, belegen zwar zahlreiche langfristige Studien, doch diese Erklärung birgt durchaus das Potenzial, einige tendenziell risikoaverse Anleger ein wenig abzuschrecken.

Nachhaltige Smart-Beta-ETFs

Die Index-Hersteller stellten in der jüngeren Vergangenheit fest, dass sich Privatanleger vermehrt für nachhaltige Geldanlagen interessieren. Somit ist es nur logisch, dass sie den Trend auch in die Smart-Beta-Indizes übernehmen, um weiter Anleger für diese ETFs zu gewinnen. Fraglich ist jedoch, ob die Vermengung von Nachhaltigkeit und Faktor-Investing auf fruchtbaren Bo- den stößt oder die Faktorprämie eher im Keim erstickt. Um das herauszufinden, wird nun die Rendite von Smart-Beta-Indizes mit ihren nachhaltigen Pendants verglichen, um festzustellen, ob sich der Nachhaltigkeitstrend auch förderlich bei Faktor-Prämien auswirken kann.

Nachhaltige Small Caps

Es gibt bereits einige nachhaltige Small- Cap-ETFs auf dem Markt. Wir nehmen hier für einen Vergleich den Credit Suisse MSCI USA Small Cap ESG Leaders Blue UCITS ETF (WKN: A2P4U1) und den iShares MSCI World Small Cap ESG Enhanced UCITS ETF (WKN: A3C14G) bzw. deren Indizes. Nimmt man den MSCI USA Small Cap ESG Leaders Index des Credit Suisse ETFs, kann man auf einen langfristigen Vergleich zurückblicken. Der Index-Hersteller MSCI stellt einen Vergleich des nachhaltigen Index mit seinem Mutterindex ab Ende 2000 zur Verfügung.

Betrachtet man die jährliche Durchschnittsrendite, schafft der MSCI USA Small Cap ESG Leaders Index eine Performance von 7,33 Prozent. Der Mutterindex schafft hingegen 8,69 Prozent pro Jahr! Eine Diskrepanz von 1,36 Prozentpunkten pro Jahr hört sich zunächst nicht erheblich an, kann jedoch über einen Anlagehorizont von 30 Jahren einige zehntausend Euro ausmachen. Hier lässt sich also noch keine positive Wirkung des Faktors Small Cap in Kombination mit Nachhaltigkeit feststellen.

Beim iShares MSCI World Small Cap ESG Enhanced UCITS ETF bietet MSCI lediglich einen Vergleich seit Mitte 2016 an. Hier schlägt der nachhaltige Index den Elternindex mit 11,07 Prozent Durchschnittsrendite pro Jahr zu 10,79 Prozent pro Jahr. Vergleicht man jedoch die einzelnen Jahresperformances, wechseln sich die beiden Indizes fleißig mit der Führung ab, so dass eine konkrete Aussage für die Zukunft schwer erscheint.

Zudem ist ein Vergleichszeitraum von nur sechs Jahren auch noch nicht wirklich valide. Die Faktenlage spricht zumindest aktuell noch eher dafür, dass mit ESG-Produkten auf Small Caps im Vergleich zu reinen Small-Cap-ETFs noch keine Überrendite zu erzielen ist.

Nachhaltiges Value

Für den Vergleich der Value-Indizes ziehen wir wieder den MSCI World heran. Der iShares MSCI World Value Factor ESG UCITS ETF (WKN: A3CUJR) versucht mit dem MSCI World Value ESG Reduced Carbon Target Select Index den Mutterindex MSCI World Value Factor auszustechen. Dies ist ihm in den vergangenen Jahren nicht gelungen, allerdings verliert er das Rennen nur knapp. Der nachhaltige Value-ETF schafft eine durchschnittliche Rendite von 9,58 Prozent pro Jahr, wobei der Mutterindex bei 9,77 Prozent im Jahr liegt. Zu erwähnen ist hier sicherlich noch, dass ein marktneutraler MSCI World in den letzten zehn Jahren bei durchschnittlich 12,15 Prozent liegt. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied und dürfte selbst Fans von nachhaltigen ETFs ins Grübeln bringen.

Nachhaltiges Momentum

Nachdem die nachhaltigen Varianten bereits zweimal das Nachsehen hatten, kommen wir nun mit dem iShares MSCI World Momentum Factor ESG UCITS ETF (WKN: A3CUJS) zum letzten Vergleich. Hinter diesem ETF versteckt sich der MSCI World Momentum ESG Reduced Carbon Target Select Index. Auch hier schenken sich die Kontrahenten nichts und gehen Kopf an Kopf ins Ziel. Der normale MSCI World Momentum Index kommt in den letzten 10 Jahren auf durchschnittlich 14,63 Prozent im Jahr, der nachhaltige Index auf 14,57 Prozent.

Insgesamt muss man also konstatieren, dass sich für die wichtigsten Smart- Beta-Faktoren in Kombination mit Nachhaltigkeit in der Vergangenheit keine Überrendite erzielen ließ. Die Produkte müssen also ihre potenzielle Attraktivität für Anlegerinnen und Anleger abseits des Faktors „gutes Gewissen“ zunächst noch unter Beweis stellen.

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Fazit zu ESG-ETFs mit Faktoren

Bislang schaffen es nachhaltige ETFs, die mit Smart-Beta-Faktoren ausgestattet sind, noch nicht, ihre Benchmark – also die klassischen Smart-Beta-Indizes oder gar den klassischen Mutterindex (MSCI World) – outzuperformen. Insofern sollten Anleger wohl lieber in klassische nachhaltige Produkte ohne Faktorprämie investieren. Das ist zumindest der Status quo.