Sell in May and go away: Soll ich jetzt meine Aktien verkaufen?
Die wohl bekannteste Börsenregel lautet: „Sell in May and go away“. Ist es also sinnvoll in diesen Tagen Aktien abzustoßen?
Geht es um Börsenweisheiten, darf eine nie fehlen – zumal sie gegenwärtig aktuell ist: „Sell in May“ – verkaufe im Mai. Seinen Ursprung hat das Sprichwort in einer alten britischen Tradition, die auf die Saisonalität des Londoner Finanzplatzes zurückgeht. Im 19. und 20. Jahrhundert verließen die Aristokraten und großen Investoren die englische Metropole, um den Sommer auf dem Land oder anderswo in Europa zu verbringen. In der Folge gab es kaum wirtschaftliche Aktivität, die Marktliquidität ging zurück und die Märkte stagnierten.
„Traditionell kehrten sie im September in etwa zur Zeit des prestigeträchtigen St. Leger Pferderennens zurück, und dann nahm auch das Geschäftsleben wieder Fahrt auf. Daher lautet die Ursprungsform des Sprichworts eigentlich ‚Sell in May and go away, come back on St. Leger’s Day‘ und wurde in der modernen Form zu ‚Sell in May and go away but remember to come back in September‘“, sagt Hans Selleslagh, Österreich-Sprecher von Freedom24. Das heißt also auch, nach dem Verkauf im Mai sollte im September der Wiedereinstieg erfolgen – zumindest, wenn man dieser Losung Glauben schenkt.
Ist an Sell in May etwas dran?
Auf lange Sicht scheint ein wenig dran zu sein. So beginnen im Mai laut den Experten des Online-Brokers XTB die zumindest statistisch gesehen schlechtesten Monate des durchschnittlichen Börsenjahres. Die Statistik erlaube allerdings keinen Rückschluss auf einzelne Jahre. „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ‚Sell in May‘ kein Selbstläufer ist – es gab schon Jahre, da hat es sich als großer Fehler erwiesen, im Sommer nicht investiert gewesen zu sein“, sagt Jens Chrzanowski, Deutschland-Chef vom Online-Broker XTB. „Wer etwa im Jahr 2005 nach der Börsenregel gehandelt hat, hat im Dax knapp 15 Prozent an Performance verpasst.“ So stark war der deutsche Aktienindex vor 20 Jahren in den vier Monaten zwischen Anfang Mai und Anfang September gestiegen.
Meistens ist Buy-and-Hold überlegen
Doch führt der Rückzug über die warmen Monate hinweg tatsächlich zu höheren Renditen? Auch wenn statistisch gesehen die Sommermonate in vielen Jahren weniger Gewinn einbrachten als der Zeitraum von November bis April, hält das besagte Börsensprichwort einer Analyse historischer Daten nicht stand. „Laut einer von Fidelity International durchgeführten Studie war der ‚Sell in May‘-Ansatz im Zeitraum zwischen 1986 und 2023 nur in 14 von 37 Jahren erfolgreich, während in den übrigen 23 Jahren jene Anleger, die am Markt blieben, höhere Renditen erzielten“, berichtet Selleslagh. Über die Sonnenmonate scheinen sich in der Langzeitbetrachtung zwar die Renditen etwas abzukühlen, aber nicht derart stark und verlässlich, dass sich ein gezielter Ausstieg im Mai grundsätzlich als überlegen darstellt.
Tipp: Lies dir gleich unseren Wissensbeitrag zu „Sell in May and go away“ durch. |
Unterstützt die Zollpolitik diesmal die Börsenregel?
„Trumps Zollpolitik hat die Volatilität der Aktienmärkte erhöht, was wiederum die Risiken saisonaler Ansätze wie ‚Sell in May‘ verstärkt. Plötzliche Änderungen in der Handelspolitik können sowohl starke Kursrückgänge und Kapitalabfluss, als auch Markterholungen auslösen“, erklärt Selleslagh. So hat der von US-Präsident Donald Trump heraufbeschworene Zollstreit die weltweiten Aktienmärkte seit Anfang April auf eine Achterbahnfahrt geschickt und die Unsicherheit bei den Anlegern merklich erhöht. Das lässt sich nach Ansicht Chrzanowskis zum einen an der Rekordjagd des Goldpreises feststellen; Gold wird als sicherer Hafen am Kapitalmarkt empfunden, so dass sein Preis in turbulenten Zeiten von einer erhöhten Nachfrage profitiert.
Tipp: In der Extra-Magazin-Ausgabe 4/2025 erfährst du mehr über Gold und Bitcoin als sichere Häfen. Hier geht es zum Shop. |
Die Nervosität lasse sich aber zum anderen noch konkreter an Indizes ablesen, die die implizite Volatilität messen, also zukünftige Schwankungen einbeziehen. In ihre Berechnung fließen Futures ein, also das, was Anleger erwarten. Volatilitätsindizes sind etwa der deutsche VDAX New und sein US-Pendant VIX.
Historisch hoch war die Unsicherheit gemessen am VDAX-New etwa in den ersten Monaten der Jahre 2003 (Irak-Krieg), 2008 (Finanzkrise) und 2009, 2018 (steigende Zinsen) und 2022 (Angriff auf die Ukraine). In allen diesen Zeiten erreicht der VDAX New ein überdurchschnittliches Niveau von 40. Doch nicht in allen dieser Jahre ging es im Sommer bergab mit den Kursen. So entwickelten sich die Notierungen etwa in den Sommermonaten der Jahre 2003 und 2009 positiv (Anfang Mai bis Anfang September 19,6 bzw. 11,7 Prozent).
Sell in May?
Jahr | Dax Performance Mai bis September | VDAX New Januar bis April |
---|---|---|
2000 | -0,9% | |
2001 | -18,0% | |
2002 | -27,3% | |
2003 | 19,6% | über 40 |
2004 | -4,7% | |
2005 | 14,7% | |
2006 | -2,9% | |
2007 | 2,6% | |
2008 | -8,8% | über 40 |
2009 | 11,7% | über 40 |
2010 | -1,3% | |
2011 | -23,9% | |
2012 | 4,5% | |
2013 | 3,5% | |
2014 | -0,8% | |
2015 | -13,8% | |
2016 | 4,1% | |
2017 | -2,9% | |
2018 | -3,6% | über 40 |
2019 | -3,2% | |
2020 | 24,0% | über 40 |
2021 | 3,9% | |
2022 | -9,4% | über 40 |
2023 | 0,7% | |
2024 | 5,8% | |
Quelle: XTB |
„Unsere Analyse zeigt: Ein unruhiger Start ins Börsenjahr gibt keinen Aufschluss darüber, ob sich die in der Vergangenheit statistisch unterdurchschnittlichen Monate auch im laufenden Jahr als schwach erweisen werden. Die Untersuchung verdeutlicht auch: An der Börse gibt es immer wieder Parallelen und Muster, aber eine Situation lässt sich nie eins zu eins auf eine andere übertragen“, so Chrzanowski weiter. Insofern lasse sich Anlegern nur raten, in ihrer Anlagestrategie auf eine erhöhte Schwankungsbreite vorbereitet zu sein. „Wer heftigere kurzfristige Ausschläge nicht gut verkraftet, sollte sein Depot mit defensiveren Aktien und ETFs anreichern oder über eine Absicherung mit Hebelprodukten nachdenken. Allen anderen hat der Markt ja zuletzt gezeigt, dass er sich schnell auch wieder von Kurskorrekturen erholen kann“, meint Chrzanowski.
Tipp: Um ein für dich passendes ETF-Portfolio aufbauen zu können, solltest du denn Risikokapazitätsrechner nutzen. |
Fazit: Vergiss „Sell in May“
Zwar lässt sich langfristig feststellen, dass die Sommermonate tendenziell schwächere Renditen lieferten. Ein Verkauf im Mai und ein Wiedereinstieg im September hätte sich aber meist nicht gelohnt. Lass dich nicht verrückt machen und halte deinem ETF-Weltportfolio die Treue. Buy-and-Hold hat auf lange Sicht in der Regel die Nase vorne.