Gerd Kommer: So legen Sie Ihr Vermögen vor und während Ihres Ruhestands an
Anleger, die sich in der zweiten Lebenshälfte befinden, steuern auf den wohlverdienten Ruhestand zu. Doch wie legt man in dieser Phase sein Vermögen am besten an? Sind Aktien noch ratsam? Und wie wichtig sind steuerliche Überlegungen? Wir haben bei ETF-Experte Gerd Kommer nachgefragt.
Herr Kommer, stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Ein Kunde (55 Jahre, keine Verbindlichkeiten) kommt zu Ihnen in die Vermögensverwaltung mit einem Wertpapierdepot, das gemäß Ihrem Weltportfolioansatz strukturiert ist mit 70 Prozent Aktien und 30 Prozent risikofreiem Anteil. Der Arbeitsauftrag wäre, das Portfolio in puncto Risiko und Rendite zu optimieren bis zum Renteneintritt. Was würden Sie dem Kunden raten?
Für die Beantwortung der Frage „Wie teile ich mein Depot auf in einen Aktienteil, der für die Renditegenerierung zuständig ist, und einen zweiten, risikoarmen Portfolioteil, der für Sicherheit und Liquidität zuständig ist?“ durchlaufen wir einen anspruchsvollen strukturierten Prozess, den wir hausintern entwickelt haben. Für Do-it-yourself-Anleger funktioniert allerdings auch die alte Formel 100 minus Lebensalter in Jahren recht gut, jedenfalls im Standardfall. Die Formel beziffert meinen Aktienanteil in Prozent. In diesem Fall wären es 45 Prozent Aktienquote. Im Alter von 60 Jahren dann 40 Prozent.
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Sie würden den Aktienanteil also gar nicht so extrem nach unten fahren?
Es kommt auf die mentale Risikokapazität des Anlegers an. Wenn jemand sagt: „Ich bin ledig, habe viel Erfahrung mit Wertpapieren und auch schon so manchen Börsencrash finanziell und mental gut überstanden“, dann könnte man sogar mit der Formel 110 minus Lebensalter rechnen. Grundsätzlich muss man den Aktienanteil keineswegs auf null fahren im Alter. Auch ein 80-Jähriger kann im Prinzip noch eine Aktienquote von 20 Prozent vertragen und 10 Prozent des Gesamtvermögens geht meines Erachtens sogar für 100-Jährige. Das ist überhaupt kein Problem. Bei all diesen Aussagen ist vorausgesetzt, dass das Aktienportfolio global diversifiziert ist. Der MSCI World mit 1.600 Aktien wäre dabei das Minimum. Besser wäre eine noch breitere Streuung, mit Schwellenländern und Small Caps.
Wie sieht es aus mit Einzelwerten?
Ich rate vom Einzelwertrisiko grundsätzlich ab. Da hat man bei Wirecard gesehen, wohin das im schlimmsten Fall führen kann. Wenn überhaupt, dann Einzelaktien nur in einem kleinen Spielgelddepot für maximal fünf Prozent des gesamten liquiden Vermögens.
Und wie verhält es sich mit dem risikofreien Teil des Portfolios?
Diesen könnte man über einen Geldmarkt-ETF darstellen bzw. mit sehr sicheren kurzfristigen Staats- und Unternehmensanleihen diversifiziert abbilden. Man könnte auch ein Tagesgeld innerhalb der Grenzen der gesetzlichen Einlagensicherung von 100.000 Euro pro Bank verwenden. Auf diese Weise bringt man Volatilität und Ausfallrisiko (also Rückzahlungsrisiko) auf das niedrigstmögliche Level, bei zugleich höchstmöglicher Liquidität.
Bringt aber auch keine Rendite …
Das stimmt, ist aber kein Grund, es nicht zu machen. Die risikofreie Anlage – also null Volatilität, null Ausfallrisiko und maximale Liquidität – hat historisch betrachtet noch nie eine nennenswerte reale Rendite generiert. Auch nicht vor 20 Jahren, als die Zinsen noch höher waren. Damals war die Inflation auch entsprechend höher. Inflationsbereinigt hat dieser Portfolioteil noch nie etwas zur Performance beigetragen. Der Zweck der risikofreien Komponente im Portfolio ist es, Sicherheit und Stabilität zu produzieren, nicht Rendite. Das sollte man entsprechend berücksichtigen.
Ist es notwendig, den Aktienanteil im Portfolio über mehrere Produkte bzw. über mehrere ETF-Emittenten zusätzlich zu diversifizieren?
Diese Frage stellen uns unsere Kunden sehr oft. Nein, aus meiner Sicht ist das nicht nötig. Lassen Sie uns hypothetisch annehmen, Sie haben 300.000 Euro in einem iShares-ETF auf den MSCI World. Besteht da ein Klumpenrisiko? Nein, denn ein ETF ist rechtlich betrachtet Sondervermögen. Es ist ohnehin unwahrscheinlich, dass Vermögensverwalter in die Insolvenz rutschen, weil sie – anders als Banken – ein relativ risikoarmes Geschäftsmodell haben. Sagen wir, der ETF-Anbieter ginge trotzdem pleite, dann sehen dessen Gläubiger keinen Cent vom im ETF angelegten Vermögen der Kunden. Das Sondervermögen wird noch nicht einmal in der Bilanz des ETF-Anbieters ausgewiesen.
Sie sind ja ein Verfechter des Buy-and-Hold-Ansatzes und Sie weisen auch regelmäßig darauf hin, dass das langfristige Halten von Wertpapieren auch mit einem leichten Steuervorteil verbunden ist wegen des Steuerstundungseffekts bei Nicht-Realisation von Gewinnen. Würden Sie einem Anleger aus diesem Grund abraten, den Aktienanteil zu reduzieren?
Gute Frage. Aufgrund der starken Erholungen der Aktienmärkte nach dem Coronacrash haben viele Anleger heute nicht realisierte Gewinne in ihrem Depot, so dass der Aktienanteil vielleicht ein stärkeres Gewicht einnimmt als ursprünglich vorgesehen, z. B. 80/20 statt 70/30. Hier sollte man aus Risikomanagement-Gründen eigentlich ein Rebalancing zurück zu 70/30 vornehmen. Um Ihre Frage konkret zu beantworten: Die Pflicht, Steuerzahlungen leisten zu müssen aus realisierten Kursgewinnen, sollte niemals ein Grund sein, ein Rebalancing im Vermögen zu unterlassen. Risikomanagement ist wichtiger als Steuern senken. Auch das Älterwerden kann nach der vorhin erwähnten Faustformel ein allmähliches Rebalancing weg von Aktien erfordern.
Spielen Steuern aus Ihrer Sicht also keinerlei Rolle bei den Überlegungen für oder gegen ein Investment?
Erwin Huber, der frühere bayerische Finanzminister, hat einmal formuliert: „In Deutschland ist bei manchen Menschen der Steuerspartrieb stärker ausgeprägt als der Sexualtrieb.“ Hoffentlich war das übertrieben, aber es birgt auf jeden Fall einen wahren Kern. Ich bin der Meinung, ganz gleich, ob es sich um Gold, Bitcoin, geschlossene Immobilienfonds oder sonstiges Vermögen handelt, man sollte niemals nur aus dem Grund ein Investment tätigen, weil es möglicherweise Steuervorteile beinhaltet. Wenn diese Vorteile vorhanden sind und das Investment an sich sinnvoll ist, dann nimmt man diese halt mit. Umgekehrt hei t das aber auch: Man sollte niemals Rebalancing-Entscheidungen oder Asset Allokationsentscheidungen deswegen nicht durchführen, weil sie zu einem Abfluss von Steuerliquidität führen.
Wie gehe ich nun zum Rentenbeginn vor, wenn die Phase der Vermögensnutzung beginnt? Sprich: Ich möchte nun von meinem Vermögen leben. Was sind hier die ersten wichtigen Planungsschritte?
Ich würde zunächst meine Lebenshaltungskosten pro Jahr ausrechnen. Angenommen, ich brauche 2.000 Euro im Monat, dann sind das ja 24.000 Euro im Jahr. Wenn ich eine Million Euro Vermögen habe, dann teile ich die Million durch die 24.000 Euro. Damit beantworten Sie schon einmal eine sehr wichtige Frage zum Start, und zwar: Wenn ich eine reale Null Rendite hätte oder eine nominale Rendite in Höhe der Inflation, wie lange könnte ich von diesem Geld leben? In dem Fall, den ich skizziert habe, wären es etwas mehr als 41 Jahre.
Eine reale Null-Rendite sollte kein Problem sein, oder?
Unterschätzen Sie das nicht. Es ist gar nicht so leicht, nach Abzug von Kosten, Steuern und Inflation eine Null-Rendite zu erwirtschaften. Die Deutschen parken 40 Prozent ihres liquiden Vermögens auf Bankguthaben. Da ist die Vorsteuerrendite schon mal null. Nach Abzug von Inflation erzielen Sie ein deutlich negatives Ergebnis. Aber grundsätzlich ist eine reale Null-Rendite oder sogar mehr natürlich machbar mit einer entsprechenden Allokation des Portfolios.
Zusätzlich muss man in dieser Phase auch Geld aus dem Portfolio entnehmen. Laut der sogenannten Monte-Carlo-Simulationsmethode sollten dies nicht mehr als vier Prozent pro Jahr sein. Was hat es denn damit auf sich?
Der US-Forscher William Bengen hat Mitte der 1990er Jahre anhand der bis damals vorliegenden historischen Daten über US-Aktien und US-Staatsanleihen ausgerechnet, wie hoch die Entnahmerate in einem 50:50-Portfolio sein darf, ohne dass das Portfolio in einem Zeitraum von 30 Jahren „pleitegeht“, sprich aufgebraucht wird. Nach seinen Kalkulationen kam es bei einer Entnahmerate von vier Prozent im Jahr 1 praktisch nie zur „Pleite“. Der Geldbetrag aus dem Jahr 1 stieg in den Folgejahren jeweils mit der Inflation. Egal, welchen Zeitraum man sich anschaut innerhalb von 1926 bis 1995: Mit einer maximalen Entnahmerate von vier Prozent ließen sich diese 30 Jahre überstehen. Im schlimmsten Fall war das Vermögen verbraucht am Ende der 30 Jahre, aber eben nicht vorher. Dabei hat Bengen Kapitalverzehr mit eingerechnet und die durchschnittlichen Renditen für Aktien und Anleihen berücksichtigt.
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Hat das Konzept Schwächen?
Das Konzept war richtig, aber Bengen rechnete im Anleiheanteil des Portfolios mit Renditen, die aus heutiger Sicht unrealistisch hoch sind. In etwas milderer Form galt das auch für den Aktienteil. Außerdem sind 30 Jahre Restlebenserwartung für viele zu kurz. Und dann benutzte Bengen eine statistische Rechenmethode, die man nach dem heutigen Stand der Wissenschaft durch eine etwas „pessimistischere“ Methode ersetzen würde. Es kommen auch Kunden zu uns, die keinen Kapitalverzehr wünschen, da geht natürlich die nachhaltige Entnahmerate drastisch zurück. Vier Prozent sind also möglicherweise zu viel und dementsprechend nicht nachhaltig.