26. November 2022
Die New Economy zahlt fast so hohe Dividenden wie die Old Economy

Der Wind dreht am Anleihenmarkt: Werden Zinsen die neuen Dividenden?

„Dividenden sind die neuen Zinsen“ – das war jahrelang der Tenor der Finanzindustrie. Nicht zu Unrecht bei Null- oder Negativ-Zinsen. Doch jetzt drehen die Notenbanken heftig an der Zinsschraube, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Werden Zinseinkünfte nun womöglich zum Dividenden-Ersatz?

Ob Anleihen oder Aktien – das erste Halbjahr hätte nicht schlechter laufen können: Ein klassisches Portfolio mit 60 Prozent S&P-500-Aktien und 40 Prozent US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit ist um 20 Prozent gesunken. Zwar gibt es unterschiedliche Ausgestaltungen solcher Portfolios. „Doch praktisch alle hatten eines der schlechtesten Halbjahre aller Zeiten“, sagt Christian Müller-Glissmann von Goldman Sachs. Der Grund: Die Zinsen steigen in nahezu allen wichtigen Volkswirtschaften rund um den Globus, um die Inflation einzufangen. Mit deutlichen Spuren am Anleihenmarkt!

Inflationserwartungen sinken

„Das hatte einen der größten Sprünge bei den Realrenditen (Anleiherenditen abzüglich Inflationsrate) aller Zeiten zur Folge“, erklärt Experte Müller-Glissmann die Marktreaktion. Zwar seien die Inflationserwartungen nun etwas zurückgegangen, aber es wäre zu früh, die Inflationsrisiken zu vernachlässigen. Eine immer noch hohe Inflation bei weniger Wirtschaftswachstum sei eine schwierige Mischung für ausgewogene Portfolios aus Aktien und Anleihen.

„Die sicherheitsorientierten deutschen Anleger parken ihr Geld auf Sparkonto und in Festgeld“, sagt Frank Mohr, Leiter ETF-Vertrieb der Société Générale. Doch was, wenn jetzt die Zinsen steigen? „Diese Zielgruppe wird bei drei bis vier Prozent Zinsen bei der Bank überwiegend konservativ investiert bleiben“, sagt der Marktexperte. Grundsätzlich zeige aber der Trend, dass immer mehr Menschen Aktien kaufen. Anleihen hingegen seien bei Privatanlegern wenig bis gar nicht gefragt.

Also doch kein Sicherheitsdenken und lieber Risiko für mehr Rendite? „Seit zweieinhalb Jahren beschäftigen sich die Menschen mehr mit Aktien, sehen die Chancen, wollen aber auch das Risiko einschätzen können“, erklärt Frank Mohr. „Viele nutzen Aktien für die Alters- vorsorge, fragen sich aber auch: ‚Was ist, wenn der Markt genau dann abstürzt?’.“

Zinsen in globalen Märkten einschätzen ist durchaus komplex

Das Thema Zinsen im globalen Markt einzuschätzen sei eine andere Liga als den MSCI World zu kennen. „Für die meisten ist es schwierig, zu schwierig, einzuschätzen, wie Leitzinsen auf Anleihen wirken, welche Währungseffekte eine Rolle spielen, wie Konjunktur und Kapitalmarkt ineinandergreifen.“ Hier müssten die Anleger viele Faktoren überblicken, mehr Zusammenhänge erkennen als bei Aktien. „Deshalb werden Aktien besser verstanden“, so sein Resümee. Das zeige die Praxis: „Bei uns werden 82 Prozent der Trades in Aktien-ETFs ausgeführt und 18 Prozent in Anleihen-ETFs.“ Das sei ein langfristiger Trend, der sich kurzfristig nicht geändert habe. Der Anleihenmarkt werde seit jeher von institutionellen Investoren geprägt. Bei Anleihen sähen die Anleger zwar die Sicherheit. „Sie müssen aber berücksichtigen, dass von zwei Prozent Zinsen nach Inflation keine Rendite er- wirtschaftet werden kann.“ Wenn ein Staat oder ein Unternehmen in den vergangenen Jahren eine Anleihe begeben hat, als die Marktzinsen niedrig waren, war auch die jährliche Zinszahlung, der Kupon, nicht hoch. Er orientiert sich an den Marktzinsen. Mit hoher Nachfrage nach Anleihen von besonders kreditwürdigen Staaten wurden diese Titel sogar über dem Emissionspreis verkauft. Die Folge: Die Zinsen dafür waren negativ: Anleger haben Geld dafür bezahlt, dass sie sicher investieren konnten.

Anleihen waren Rendite-Killer

In den vergangenen Jahren waren Anleihen Rendite-Killer. Doch seit Monaten purzeln die Kurse. Die Renditen steigen. Unbeliebt sind vor allem Papiere, die noch lange laufen, aber zu niedrigen Zinsen ausgegeben wurden. Merke: Wenn die Marktzinsen steigen, fallen die Kurse von Anleihen, weil neue Anleihen mit einem besseren Kupon auf den Markt kommen. Beispiel: Wer jetzt eine langlaufende Anleihe mit zwei Prozent Kupon besitzt, hat in Zeiten von drei Prozent Marktzinsen das Nachsehen.

Grundsätzlich werden Langläufer aber besser verzinst als kurzfristige Schuldtitel. Denn wer lange sein Kapital verleiht, geht größere Risiken ein: Wie sich die Zinsen entwickeln, die Inflation, die Wirtschaft des Landes oder die Geschäfte des Unternehmens, kann man langfristig kaum vorhersagen. Es sind aber viele Faktoren, die die Zinsen beeinflussen. Die Inflation ist nur einer davon. Die Notenbanken müssen gegensteuern. Wollen aber das Wirtschaftswachstum nicht abwürgen. Der Grad ist schmal. Wir sehen bereits jetzt in verschiedenen Branchen Rückgänge bei Gewinnen und Margen, aber auch Stellenstreichungen und Entlassungen. Die Notenbanken erhöhen trotzdem die Zinsen. Die Kurse schwanken je nachdem, wie sich die aktuellen Renditen diesem Zinsniveau anpassen. Bei steigenden Leitzinsen fallen Anleihen-Kurse. Das sehen wir seit Monaten.

Bei Anleihen-Investments ist die Bonität das wichtigste Merkmal. Vom Prädikat Investment Grade spricht man, wenn Anleihen mindestens mit einem Rating der Kreditwürdigkeit von BBB (S&P) oder Baa (Moody’s) ausgestattet sind. Das bedeutet ein geringes Ausfallrisiko. Hingegen sind Ramsch-Papiere, auch High-Yield- oder Junk-Bonds genannt, risikoreich, bieten dafür aber hohe Zinsen. Bei Anleihen gilt: Je länger die Laufzeit und je geringer die Bonität eines Staates oder Unternehmens, desto mehr Rendite ist zu erwarten. Neben der Bonität kommt es u.a. auf Laufzeit, Rendite, Duration (Zinssensitivität) an. Bei Fonds sind auch die Kosten (jährliche Kosten, Ausgabeaufschlag, Performance-Gebühren) wichtig, bei ETFs sind sie eher zu vernachlässigen. Fonds und ETFs machen eine breite Streuung möglich – sehr wichtig. Diese Kennzahlen verändern sich immer ein wenig, weil während der Laufzeit ältere Bonds durch neue ersetzt werden. Trotzdem bilden ETFs ihre Benchmark zuverlässig ab. So aussagekräftige Vergleichsindizes wie bei Dax, Dow oder S&P 500 am Aktienmarkt gibt es bei Anleihen allerdings nicht. Doch diese Kennzahlen erleichtern die Auswahl.

Steigende Zinsen sind schlecht für sogenannte Langläufer

Langlaufende Staatsanleihen reagieren viel empfindlicher auf Zinsänderungen als Titel mit kürzeren Laufzeiten. Logisch: Während einer langen Laufzeit ist das Risiko höher. Zugleich ist die Zinssensitivität, die Duration, einer Anleihe viel höher, je länger sie läuft. So fallen Staatsanleihen mit langer Restlaufzeit bei Zinserhöhungen meist stärker als Papiere mit kurzer Restlaufzeit. Wenn die Zinsen gesenkt werden, steigen die Kurse der Langläufer aber auch stärker.

Merke: Anleihen-ETFs haben weniger Risiko als Aktien, aber auch weniger Rendite. Bei Anleihen-ETFs steht die Sicherheit durch die Streuung im Vordergrund. Sie sind in einem ausgewogenen Portfolio der risikoärmere Anteil.

Auf dem Niveau, auf dem der Bärenmarkt begann …

Schauen wir auf Beispiele globaler Anleihen-ETFs über alle Laufzeiten, mit Investment Grade, mindestens 100 Millionen Euro Fondsvolumen, mindestens drei Jahre am Markt. In Zeiten fallender Zinsen konnten Anleihen-Investoren noch von Kurssteigerungen profitieren, doch seit sich die Zinswende am Markt auch nur andeutete, fallen die Kurse.

Läuft es bei Aktien besser? Eine alte Regel an den Börsen sagt ja: Wenn Anleihen-Kurse fallen, steigen Aktien. Nicht in diesem Jahr. Im März waren 8,5 Prozent US-Inflation ein Aufschrei, jetzt lösen 8,5 Prozent Inflation einen Kursschub aus. Die Börsen sind auf dem Niveau zurück, auf dem der Bärenmarkt im Frühjahr begonnen hat. Nichtsdestotrotz haben in diesem Jahr allein die Unternehmen im Dax in diesem Frühjahr mehr als 50 Milliarden Euro an Dividenden ausgeschüttet. So viel wie nie zuvor. Besonders freigiebig sind Automobil-Hersteller und Versicherer. So verteilte Mercedes- Benz die Höchstsumme von 5,3 Milliarden Euro an die Aktionäre, die Allianz 4,4 Milliarden, BMW 3,8 Milliarden.

Schauen wir auf ETFs, die diese Möglichkeiten attraktiv umsetzen in Sachen Wertentwicklung, Größe (mindestens 100 Millionen Euro Volumen), Alter (mindestens 3 Jahre am Markt) bei verträglichen Kosten und globaler Anlage. Die höchsten Dividenden werden nämlich nicht in Deutschland gezahlt – in den USA ist die Tradition älter, sind die Ausschüttungen tendenziell höher.

Dividenden: Streuung und Zusatzeinkommen vs. Kosten und Garantie

Privatanleger profitieren mit Dividenden-ETFs von der breiten Streuung (Branchen, Regionen) und von einer breiten Produkt-Auswahl. Dividenden- ETFs sind weniger volatil und einfach zu handhaben. Bei langfristiger Geldanlage können Dividenden ein passives Zusatzeinkommen sein. Die Transaktionskosten sind etwas höher als bei klassischen ETFs auf Dax und Co. Und anders als bei Zinsen ist die Gewinnbeteiligung der Unternehmen nicht garantiert.

Doch Investoren, institutionelle wie private, wollen mindestens stabile, am liebsten steigende Dividenden. Dazu sind Aktienrückkäufe ein probates Mittel: Wenn die Zahl der Aktien knapper wird und sich Gewinne wie Dividenden auf weniger Aktien als bisher verteilen lassen, dann ist das meist ein Kursbooster. Derzeit sind die Aktienrückkäufe auf Rekordniveau. Allein für 985 Milliarden Euro haben die S&P- 500-Unternehmen innerhalb eines Jahres Rückkäufe angekündigt. In Deutschland sind vor allem Adidas oder Linde motivierte Rückkäufer.

Alles in allem zeige die Vergangenheit laut Goldman, dass seit 1900 ein klassisches 60/40-Portfolio optimal gewesen sei. Noch besser war es, zusätzlich Gold und Sachwerte zu ergänzen: „Dann ist die optimale strategische Vermögensaufteilung seit dem Zweiten Weltkrieg ungefähr bei einem Drittel Aktien, einem Drittel Anleihen und einem Drittel Sachwerten“, erklärt Christian Müller-Glissmann, weil man damit die Kaufkraft schützen könne. Also Dividenden (Aktien) plus Anleihen plus Sachwerte.

Dividenden bleiben eine gute Idee

Nach Einschätzung von Frank Mohr bleiben Dividenden eine gute Idee. Auch wenn die Zinsen wieder ins Spiel kommen? „Ganz sicher, Dividenden haben eine Zukunft“, sagt Frank Mohr. „Unter- nehmen werden weiter Dividenden zahlen. In welcher Höhe, bleibt abzuwarten, und nicht alle Branchen werden weiter Gewinnbeteiligungen ausschütten können.“ Einbrüche in der Konjunktur würden auch da Spuren hinterlassen: „Es werden schwache Geschäftszahlen kommen, dann sind manche Dividenden in der bisherigen Höhe nicht gerechtfertigt.“ Doch es werde immer Dividenden- Zahler geben. Langfristig betrachtet zählen Versicherer, aber auch Konsumgüter-Hersteller zu den verlässlichen Dividenden-Zahlern.

Tipp: Mit dem extraETF Finanzmanager kannst du deine Investments analysieren und dein Vermögen an einem Ort überwachen – einfach, schnell und sicher.

Fazit

Experte Frank Mohr resümiert: „Auf lange Sicht können Anleger mit Aktien – und damit auch mit Dividenden – mehr erreichen als mit Anleihen. Risiken gibt es immer am Aktienmarkt. Das ist nicht wegzudiskutieren.“ Dennoch sind die Risiken insbesondere bei verlässlichen Dividendenzahlern mit Substanz langfristig überschaubar.