19. Juli 2025
Favoritenwechsel am Aktienmarkt: Europa statt USA?

Experte über Europa-Aktien: „Die Eu(ropa)phorie ist vorbei“

Das zweite Halbjahr wird den Weg in den USA weisen. Doch wie sieht es in Europa aus? Ist die große Euphorie schon wieder vorbei?

Der von US-Präsident Donald Trump sogenannte „Liberation Day“ in den USA ist gerade einmal drei Monate her. „Doch was seitdem passiert ist, reicht bereits locker für einen prall gefüllten Finanzmarkt-Jahresrückblick“, sagt Felix Herrmann, Chefvolkswirt bei ARAMEA Asset Management.

„In den USA ist die Beurteilung der tatsächlichen konjunkturellen Dynamik aufgrund der starken Vorzieheffekte schwierig. Arbeitsmarktdaten, die weniger anfällig für Verzerrungen sind, suggerieren derzeit recht klar eine Abkühlung der US-Wirtschaft“, so Herrmann. Trumps Politik beeinflusse Investitions- und Einstellungsentscheidungen negativ, sodass alles andere als eine weitere wirtschaftliche Verlangsamung für die Experten von ARAMEA Asset Management eine große Überraschung wäre. 

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Andere Experten sehen jedoch im Rahmen des Anfang Juli verabschiedeten „One Big Beautiful Bill Act“ Impulse für die US-Wirtschaft. Der Arbeitsmarkt sorgte bereits jüngst für eine positive Überraschung. Doch auf der anderen Seite: Nicht nur die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) sorgt sich vor der Rückkehr der Inflation in den USA. „Die Preise könnten im zweiten Halbjahr zollbedingt einen Satz nach oben machen. Bis zuletzt verkauften viele Unternehmen noch Güter aus ihren Lagern ab, die keinem Zoll unterlagen. Dies wird sich sehr zeitnah ändern“, so Herrmann. Jim Caron, Chief Investment Officer der Portfolio Solutions Group von Morgan Stanley Investment Management, rechnet in der zweiten Jahreshälfte 2025 mit mehr Klarheit. „Die Marktteilnehmer werden ein besseres Verständnis der Steuer- und Haushaltspolitik haben und erkennen, dass Einigungen in der Zollpolitik möglich sind.“

„Die Totgesagten leben länger, das gilt besonders für US-Aktien“, sagt Mathias Beil, Leiter Private Banking bei der Hamburger Sutor Bank. Das erste Quartal 2025 war aus Beils Sicht noch stark geprägt von der Euphorie um europäische Märkte. Viele Analysten sahen den Wendepunkt gekommen: Europa würde nun endlich die jahrzehntelange Underperformance gegenüber den USA beenden. „Diese Einschätzung erwies sich als voreilig. Bereits im zweiten Quartal zeigt sich wieder das bekannte Muster: Wenn es um nachhaltiges Wachstum und Innovationskraft geht, führt kein Weg an den USA vorbei“, so Beil.

Europäische Wirtschaft tritt auf der Stelle

Die Unsicherheiten in den USA ließen Kapital in Richtung Europa wandern. Das liegt daher nicht unbedingt an der neuentfesselten Stärke des alten Kontinents. „In Europa tritt die Wirtschaft auf der Stelle. Der weniger zollsensitive Dienstleistungssektor gibt besonderen Anlass zur Sorge. Der durchschnittliche Einkaufsmanagerindex für das Quartal ist der schwächste seit Ende 2023. Mit dem Konflikt im Mittleren Osten droht zudem weiteres Ungemach für Europas Wirtschaft. Bleibt also bis auf weiteres nur die Hoffnung auf die Effekte der steigenden Fiskalausgaben – vor allem in Deutschland“ stellt Herrmann fest.

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Nach Einschätzung von Experten geht die US-Notenbank Fed trotz der bestehenden Unsicherheit davon aus, dass die Zollpolitik Trumps einen stärkeren stagflationären Schock für die US-Wirtschaft darstellt. „Auf der letzten Sitzung des Offenmarktausschusses wurden die Inflations- und Wachstumsprognosen entsprechend nach oben beziehungsweise unten korrigiert. Aus unserer Sicht ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es in diesem Jahr keine weitere Zinssenkung in den USA mehr geben wird“, so Herrmann. 

Europa-Aktien eine Eintagsfliege?

„Auf der Aktienseite war die Eu(ropa)phorie im ersten Quartal groß: Die Outperformance von europäischen gegenüber US-Aktien war nicht nur atemberaubend, sie kam für die allermeisten Anleger auch komplett unerwartet. Bereits im zweiten Quartal trat allerdings schon wieder Ernüchterung ein“, so Herrmann, der eine nüchterne Prognose hinterherschickt: „Mit Blick nach vorne werden Aktien aus Europa für eine überschaubare Zeit nur dann mit Titeln aus den USA Schritt halten können, wenn die geopolitischen Risiken abebben, die Politik hierzulande ihre Hausaufgaben macht und die Unternehmensgewinne sprudeln.“

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Für mehr als ein temporäres Zwischenhoch werde es laut Herrmann es für europäische Aktien wohl nicht reichen. Jonathan Gregory, Head of UK Fixed Income bei UBS-AM, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Angesichts eines möglichen Handelskriegs, der Notwendigkeit zur Aufrüstung und einer schwachen Produktivität und Investitionstätigkeit steht Europa am Scheideweg eines geringeren Potenzialwachstums.“ Zudem hält er den weiteren Weg der Europäischen Union in die Schuldenunion für möglich.

ETF auf Europa

Die jüngste Eu(ropa)phorie und die damit verbundene Outperformance im laufenden Jahr gegenüber US-Werten ist mit Vorsicht zu genießen. Dennoch gilt: Immer noch sind europäische Unternehmen gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) etwa 30 Prozent günstiger als US-amerikanische. Wer die Europa-Welle noch eine Weile reiten möchte, kann sich über eine entsprechende ETF-Position Gedanken machen. Hier ein Beispiel:

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