Die Notenbank und der Leitzins

Die EZB senkt den Leitzins auf 4,25 Prozent: Was bedeutet das für Anleger?

Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt den Leitzins. Das haben Beobachter schon im Vorfeld vermutet. Welche Auswirkungen hat das für den Aktienmarkt?

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist aktiv geworden. So sinkt der Leitzins um 0,25 Prozentpunkte – von 4,50 auf 4,25 Prozent. „Das ist gut so“, sagt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, „denn die europäischen Währungshüter sind bei der Bekämpfung der Inflationsgefahren noch lange nicht am Ziel. Preistreiber bleiben die überdurchschnittlich steigenden Löhne im Dienstleistungssektor. Und perspektivisch könnte auch ein fallender Euro-Wechselkurs für steigende Inflation sorgen.“

Der Einlagenzins für geparkte Gelder von Geschäftsbanken wird ebenfalls um 0,25 Prozentpunkte auf dann 3,75 Prozent verringert. Der Schritt war zwar im Vorfeld schon relativ absehbar, doch das Vorgehen ist beinahe historisch. Denn seit 2019 gab es keine weiteren Senkungen des EZB-Leitzinses. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass sich der Zins jahrelang auf Nullniveau bewegte. Erst im Juli 2022 ging es wieder nach oben, im Anschluss aber rapide bis zuletzt auf 4,50 Prozent. Angesichts der jahrelangen Flaute sind die 4,25 Prozent, die es nun gibt, immer noch relativ hoch. In den USA ist derzeit mit keiner Bewegung diesbezüglich zu rechnen. „Die Hürde für weitere US-Zinserhöhungen ist aus unserer Sicht nach wie vor sehr hoch – insbesondere angesichts der anstehenden Wahlen. Natürlich wird die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) immer auf die Wirtschaftsdaten reagieren müssen“, sagt Mark Dowding, Chief Investment Officer bei BlueBay, RBC BlueBay Asset Management.

Weshalb ist der Leitzins bedeutend?

Der Leitzins ist im Bankerdeutsch der Hauptrefinanzierungssatz. Zu diesem Zinssatz können sich Geschäftsbanken bei einer Zentral- oder Notenbank Geld beschaffen. Sinkt dieser, können sich europäische Geschäftsbanken und Sparkassen, die zu Transaktionen mit der EZB zugelassen sind, zu günstigeren Konditionen Geld bei ihr leihen und an Kunden Kredite mit entsprechend günstigen Zinsen zur Verfügung stellen. Allerdings werden tendenziell auch die Sparzinsen zurückgehen.

Warum senkt die EZB die Zinsen?

Die Zentralbank konzentriert sich in erster Linie auf ein stabiles Preisniveau und eine geringe Inflation von etwa zwei Prozent. In Deutschland liegen wir bereits wieder auf diesem Niveau, so dass „teures Geld“ in Form hoher Kreditzinsen nicht mehr so notwendig erscheint. Im Gegenteil: „Günstigeres Geld“ kann dafür sorgen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Denn Unternehmen können damit wieder mehr investieren, Privathaushalte mehr konsumieren.

Welche Auswirkungen hat das für dich?

Nun kommen wir zur aus deiner Sicht wichtigsten Frage. Sehen wir uns nun an, was die EZB-Zinssenkung für dich als Anleger bedeuten könnte. Die offensichtlichste Auswirkung gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für dich: die Kreditzinsen gehen runter. Du kannst also mit niedrigeren Zinsen für Ratenkredite oder Baufinanzierungen rechnen. Aber auch dein ETF-Depot könnte sich freuen. Denn für Unternehmen sinkt die Kreditbelastung, was Kapazitäten für Zukunftsinvestitionen schaffen könnte. Das kann dem allgemeinen Wirtschaftswachstum Rückenwind verleihen.

Aber die Zinssenkung ist auch aus einem anderen Grund grundsätzlich gut für den Aktienmarkt. Ganz einfach: Die Aktie als Anlageform wird relativ zu Zinsprodukten von Banken aufgewertet.

Tipp: Erfahre, was der Zinsentscheid für dein Anleihen-Investment bedeutet.

Ein weiterer Effekt: Eine Leitzinssenkung kann den Euro abwerten, da Investoren nach höheren Renditen in anderen Währungsräumen suchen. Ein schwächerer Euro kann die Exporteure der Eurozone begünstigen, da ihre Produkte im Ausland billiger werden.

Erwarte nicht zu viel von der EZB-Zinssenkung

Der Zinsscheit der EZB ist nicht allzu gravierend, zumal Beobachter schon seit Monat damit gerechnet haben. Dennoch ist zu beobachten: „Die Aktienmärkte tendieren in Erwartung von Zinssenkungen nach oben, da niedrigere Zinsen Aktien im Vergleich zu festverzinslichen Anlagen attraktiver machen. Das konnten wir in den vergangenen Wochen bereits beobachten: Das letzte Protokoll der EZB-Sitzung im April deutete auf eine steigende Wahrscheinlichkeit einer Lockerung der Geldpolitik im Juni hin, was zu Rekordhöhen bei europäischen Aktien geführt hat. Sowohl der Euro Stoxx 600 als auch der Dax und der französische Leitindex CAC 40 erreichten neue historische Höchststände“, sagt Martins Sulte, Geschäftsführer von Mintos. Doch die jüngste Zinserhöhung galt nahezu als sicher. Daher dürfte es nicht zu dramatischen Veränderungen in der europäischen Finanzarchitektur geben. Zum anderen raten wir dir ohnehin immer zu einem Welt-Portfolio. Und in eben diesem spielt Europa, geschweige denn die Eurozone ohnehin nicht die Hauptrolle. Sehen wir uns etwa das 70-30-ETF-Portfolio (70 Prozent Industrie- und 30 Prozent Schwellenländer) an. Darin macht Europa gerade einmal zwölf Prozent aus.

Tipp: Schau dir gleich unsere Musterportfolios an.

Du solltest dich von kurzfristigen Ereignissen ohnehin nicht ablenken lassen, einfach am Ball bleiben und möglichst früh beginnen. „Wer früh und langfristig in Aktien anlegt, profitiert länger vom Zinseszinseffekt. Außerdem sinkt das Verlustrisiko von Aktieninvestments entscheidend, wenn ein Anleger sein Kapital über einen langen Zeitraum anlegt und nicht kurzfristig spekuliert“, sagt Jan Viebig, Co-CIO von ODDO BHF. Im Zeitraum von 1970 bis 2023 hätten Anleger ohne Berücksichtigung von Inflation niemals Geld verloren, wenn sie irgendwann am Ende eines Monats in den MSCI World investiert haben und das Investment dann 15 Jahre lang gehalten haben.

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Wenn du allzu übereifrig auf wirtschaftliche oder politische Ereignisse reagierst, riskierst du die Rendite. Denn allzu häufig verpassen Anleger den perfekten Wiedereinstieg. Doch: Wenige gute Tage machen den Unterschied zwischen einem mittelmäßigen Portfolio und einem überragenden Portfolio. Ein Anleger, der von Mitte April 2004 bis Mitte April 2024 in den Welt-Aktienindex MSCI World Net Total Return inklusive Dividenden investiert war, konnte laut Zahlen von ODDO BHF im Mittel – wenn er den gesamten Zeitraum von 20 Jahren über voll investiert war – eine Wertsteigerung von 7,9 Prozent jährlich erreichen. „Wenn er allerdings in diesem Zeitraum nur die zehn Tage mit den höchsten Tagesgewinnen verpasst hatte, schrumpfte seine Rendite schon auf 6,8 Prozent jährlich“, erklärt Viebig.