Sidi Kleefeld (DWS): Deshalb rücken Europa-ETFs jetzt in den Fokus
Sidi Kleefeld, Leiter Sales Advisory & Strategy bei Xtrackers (DWS), sieht Europa-Aktien günstig bewertet. Seine Kollegin Jennifer Schmitz, ETF-Vertriebsstrategin, Xtrackers (DWS), sieht gerade bei Nebenwerten Potenzial.
Die Zuflüsse in Europa-ETFs sind im Vergleich zu US-amerikanischen signifikant angestiegen. Woran liegt das?
Sidi Kleefeld: Primär liegt das an der Bewertung. Gerade die US-Aktien sind in den vergangenen Jahren stark gelaufen. Ich denke hier gerade an die „Glorreichen Sieben“. Diese Unternehmen haben die US-Aktienindizes extrem angetrieben. Nun fragen sich natürlich die Investoren, wo es interessante Bewertungen gibt. Und da rückt Europa aufgrund der vergleichsweise schwächeren Entwicklung in der Vergangenheit in den Fokus. Wir sehen bei den deutschen Werten Zuflüsse, das Gleiche gilt für den Euro Stoxx, obwohl der Index grundsätzlich gar nicht so beliebt war, weil er nur 50 Titel hat. Auch europäische Nebenwerte spielen eine zunehmende Rolle.
Also der Zufluss nach Europa hat seine Gründe hauptsächlich in der Bewertung. Wie gravierend ist denn diese Bewertungslücke?
Sidi Kleefeld: Dazu lohnt sich ein Blick auf die „Glorreichen Sieben“. Sind diese überwertet oder nicht? Das Gewinnwachstum ist durchaus interessant und sie liefern weiterhin sehr starke Ergebnisse ab. Rein von den Bewertungen ist aber Europa schon aussichtsreich. Wir bewegen uns aktuell bei einem KGV von etwa 14, beim US-Index S&P 500 sind es dagegen 21.
Jennifer Schmitz: Bei den Small- und Midcaps habe ich mir die Bewertungen angesehen. Diese bewegen sich auf historisch niedrigen Niveaus. Daraus ergibt sich ein signifikanter Abschlag. Auch die Kursentwicklung hat in den vergangenen Jahren enttäuscht. Momentum und Wachstum sprechen nach wie vor eher für die USA, aber die Frühindikatoren stimmen für Europa positiv. Dazu kommt die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB), die ebenfalls unterstützt. Wir sehen also Aufholpotenzial für Europa, gerade im Segment der Nebenwerte.
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Zur Bewertungslücken haben die „Glorreichen Sieben“ einen wesentlichen Anteil beigesteuert. Gibt es auch in Europa solche „glorreichen Aktien“?
Jennifer Schmitz: Ja, man nennt sie die Granolas-Aktien (Anmerkung der Redaktion: GSK, Roche, ASML, Nestlé, Novartis, Novo Nordisk, L’Oréal, LVMH, AstraZeneca, SAP und Sanofi). Diese stammen fast ausschließlich aus dem Pharma- und Konsumbereich. Ähnlich wie in den USA mit den „Glorreichen Sieben“ sind in Europa die „Granolas-Aktien“ in den vergangenen Jahren besonders gut gelaufen, wir sehen aber nicht diese langfristige Wachstums-Story wie bei den US-Tech-Riesen, die dort von der Künstlichen Intelligenz getrieben wird. Die Granolas-Werte sind solide, aber in ihnen schlummern nach Meinung der Marktteilnehmer keine bahnbrechenden Potenziale.
Die EZB wurde Anfang Juni wieder aktiv und hat den Leitzins gesenkt. Ist das weiteres Futter für die Aktienmärkte?
Sidi Kleefeld: Ich denke, es wurde bereits sehr viel vorweggenommen. Die Senkung um 25 Basispunkte wurde im Vorfeld eifrig diskutiert. Die große Frage ist jetzt: Wie geht es weiter? Kommen noch weitere Zinsschritte? Ist das eine Trendwende? Nein, wir werden nicht wieder zum Nullniveau zurückkehren, wie in der Zeit vor der Corona-Pandemie. Das ist für längere Zeit vorbei. Europa kommt nicht recht auf den Wachstumspfad, die Inflation bleibt hoch. Ich denke also nicht, dass der europäische Aktienmarkt längerfristig von sinkenden Zinsen getrieben wird.
Ist der Effekt von Zinssenkungen bei Nebenwerten relevanter?
Jennifer Schmitz: Nebenwerte haben sich wesentlich öfter als große Konzerne über Bankkredite mit kurzer Laufzeit finanziert. Daher würden wir erwarten, dass Nebenwerte auch überproportional von einer Lockerung der Geldpolitik und graduell fallenden EZB-Leitzinsen über geringere Kreditkosten profitieren können. Das könnte sich mit der Zeit auch positiv auf die Gewinne kleinerer Unternehmen auswirken. Dagegen finanzieren sich Großkonzerne wesentlich häufiger über den Anleihenmarkt mit längeren Laufzeiten, so dass diese tendenziell weniger empfindlich auf kurzfristige Zinsveränderungen reagieren. Zudem hatten die hohe Inflation und die unklaren Wachstumsaussichten den Nebenwerten in den vergangenen Jahren stark zu schaffen gemacht. Doch bei der gegenwärtigen Bewertung ist ein Aufschwung wieder wahrscheinlicher.
Ein weiteres Ereignis in Europa war die Wahl. Wie wirkt sich die Europawahl auf die Märkte aus?
Sidi Kleefeld: Kurzfristig hat sich der französische Aktienmarkt aufgrund der ausgerufenen Neuwahlen relativ schwach entwickelt. Wir haben generell eine Fragmentierung in Europa gesehen. Es ist grundsätzlich aber zu früh, valide Schlüsse für den Aktienmarkt zu ziehen. Wir haben nach wie vor gute Unternehmen in Europa. US-Investoren motiviert in erster Linie die vergleichsweise günstige Bewertung des europäischen Aktienmarkts und der Beitrag zur Diversifikation. Denn gerade in US- oder auch in Welt-Indizes stellen die Tech-Werte „Glorreichen Sieben“ ein gewisses Klumpenrisiko dar.