Marcus Weyerer (Franklin Templeton): Sollen Anleger auf Frontier Markets setzen?
Schwellenländer gehören ins Depot. Doch gilt dies auch für die noch nischigeren Frontier Markets? Antworten von Marcus Weyerer, CFA, Direktor ETF-Anlagestrategie für die EMEA-Region bei Franklin Templeton.
Schwellenländer gehören sicher in ein ETF-Portfolio. Welche Vorteile bieten im Portfoliokontext Investments in die großen Schwellenstaaten, wie China und Indien?
Die beiden genannten sind dominante Schwellenländer und sollten in einem global diversifizierten Portfolio berücksichtigt werden. Zusammen tragen die beiden etwa ein Viertel zur globalen Wirtschaftsleistung bei und beim Wachstum bringen sie noch deutlich mehr auf die Waage. Für Investoren bieten sie neben Renditechancen auch Diversifikationsvorteile. Indien beispielsweise generiert über 60 Prozent seines BIP aus Konsum und ist vergleichsweise wenig von den Zollkriegen der Trump-Regierung betroffen. China macht auch Fortschritte beim Umbau seines Geschäftsmodells von Export und Investitionen hin zu Konsum – wenngleich hier noch viel Arbeit zu leisten ist.
Zuletzt sehen wir Schwellenländer auch als unverzichtbare Spieler im Technologiewettbewerb an. Deepseek ist da nur die Spitze des Eisbergs. Aus Taiwan kommen etwa 90 Prozent der am weitesten entwickelten Halbleiter, Malaysia hat sich auf Dienstleistungen wie das Testen oder Packaging der Produkte spezialisiert. Lange Rede, kurzer Sinn – Schwellenländer sind integraler Bestandteil der globalen Wirtschaft und sollten entsprechend im Portfolio vertreten sein.
Doch selbst mit einem Industrie- und einem Schwellenländer-ETF gibt es noch viele „weiße Flecken“ auf der Weltkarte. Weitere Abdeckung würden Anleger mit einem Frontier-Market-Engagement erhalten. Worum handelt es sich bei Frontier-Staaten und welche Länder sind die dominanten?
Vietnam ist der wichtigste Vertreter mit einem Anteil am MSCI Frontier Markets Index von knapp einem Viertel, gefolgt von Marokko und Rumänien mit 14 und elf Prozent. Indexanbieter wie MSCI oder FTSE legen Kriterien fest, die zu einer Aufnahme in entwickelte, Schwellenländer- oder Frontier-Market-Indizes führen können. Schwellenländer sind oft von ihrer Wirtschaftskraft vergleichbar mit entwickelten Staaten, hinken aber beim Punkt Governance hinterher. Es kann aber auch an technischen Fragen hängen. In Korea waren z. B. lange Geschäftsberichte nicht standardmäßig auf Englisch verfügbar, was neben anderen Fragen, z.B. der Handelbarkeit der Währung dazu geführt hat, dass das Land es nicht in die erste Liga schafft, obwohl es einen sehr hohen Lebenstandard hat, technologisch führt und stark international verflochten ist.
Bei Frontier Markets sind die Lücken meist deutlicher. Das politische und rechtliche Rahmenwerk, Investorenzugang, freier Kapitalverkehr oder schlicht die Größe der Volkswirtschaft sind oft nicht auf einem Standard, der internationale Investoren in der Breite anlocken würde. Kasachstan beispielsweise ist mit sieben Prozent die viertgrößte Position im Index, aber gerade einmal mit drei Unternehmen vertreten. Das BIP des Landes beträgt circa 260 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung von SAP und Deutscher Telekom, den beiden größten Werten im Dax, liegt etwa beim Doppelten.
Ein solches Investment könnte doch die Diversifikation auf die Spitze treiben. Was halten Sie von der Idee, breit auf Frontier-Markets zu setzen?
Nur bedingt. Es klingt vielleicht überraschend, aber über zehn Jahre liegt die Korrelation der Schwellenländer mit entwickelten Märkten bei circa 0,75, die der Frontier-Markets bei 0,68. Über fünf Jahre korrelieren beide Märkte mit 0,67 und 0,65 mit entwickelten Volkswirtschaften – statistisch ist der Unterschied da also nicht signifikant. Das dürfte auch daran liegen, dass Frontier-Markets oft politisch und wirtschaftlich von den großen Nachbarn wirtschaftlich abhängig sind.
Tipp: Schau dir gleich unsere ETF-Empfehlungsliste für Schwellenländer an. |
Die vietnamesische Volkswirtschaft ist beispielsweise sehr stark mit China verflochten, Marokko mit der EU. Wenn die großen Partner gut laufen, ziehen sie die kleineren mit, und umgekehrt. Natürlich gibt es Unterschiede und temporäre Entkopplungen, aber der mittelfristige Zusammenhang ist eindeutig. Investoren müssen sich bewusst sein, dass sie für eine leicht höhere Diversifikation unter Umständen deutliche höhere Risiken in Kauf nehmen.
Neben der noch breiteren Streuung könnte auch der Aspekt des Faktor-Investings interessant sein. Der Aspekt „politisches Risiko“ dürfte bei Frontier-Staaten noch stärker ausgeprägt sein als bei herkömmlichen Schwellenländern. Ist dem so?
Als Faktor sticht „Size“ heraus. Um das weiter mit Zahlen zu belegen. Der MSCI Emerging Markets Index weist eine Kapitalisierung von knapp acht Billionen US-Dollar auf, der MSCI Frontier gerade mal 134 Milliarden US-Dollar. Der Median liegt bei den Schwellenländern bei 2,5 Milliarden, beim Frontier Markets bei gerade einmal 340 Millionen US-Dollar. Noch ein anderer Vergleich: Im deutschen SDax, dem Kleinwertesegment der Deutschen Börse, gibt es gerade mal vier Werte die kleiner sind als der Median im Frontier Markets. Wir sprechen wirklich über Nischeninvestitionen.
Tipp: Mit dem extraETF Portfolio Tracker kannst du deine Investments analysieren und dein Vermögen an einem Ort überwachen – einfach, schnell und sicher. |
Das politische Risiko ist global gestiegen, und auf Einzelländerebene ist es schwer, generelle Aussagen zu treffen. Ich würde zum Beispiel argumentieren, dass das politische Risiko in Island, einer etablierten Demokratie in einem Frontier Market, eher kalkulierbar ist als in der Türkei, einem Schwellenland. Aber aggregiert steigt das Risiko natürlich, und ich denke da nicht nur an Worst-Case-Szenarien wie zum Beispiel Kapitalkontrollen oder gar Enteignungen. Korruption beispielsweise beeinträchtigt auch das Wachstum und langfristig indirekt auch die Aktienmärkte.
Die Liquidität ist in solch kleinen Aktienmärkten mit Sicherheit nicht die beste. Worauf sollten Privatanleger achten, die sich eine Frontier-Market-Position zur weiteren Streuung ins Depot legen möchten? Kommt nur eine ETF-Lösung infrage?
Eine Allokation muss im Portfoliokontext Sinn machen. Viele Anleger haben kaum Schwellenländerallokationen, denen würde ich Vorrang einräumen. Wenn das Risikoprofil es dann zulässt, spricht nichts gegen eine Investition. Die Auswahl ist aber begrenzt, es gibt keine Vielzahl an ETFs wie das bei etablierten Märkten der Fall ist. Die Liquidität des ETF-Vehikels bietet eine gewisse Möglichkeit, bei Einzelwerten über mangelndes Volumen hinwegzusehen, aber man muss die hohe Volatilität aushalten können. Es gilt der Spruch: raus kommt man immer, die Frage ist, zu welchem Preis.