10. August 2023
Widerstandskraft der Schwellenländer ebnet den Weg für neue Anlagechancen

Widerstandskraft der Schwellenländer ebnet den Weg für neue Anlagechancen

Die Widerstandskraft und der Wachstumsvorteil gegenüber den Industrieländern machen die Schwellenländer aktuell zu einem attraktiven Anlageziel.

Die Auswirkungen der restriktiveren Geldpolitik schlagen insbesondere in den Industrieländern derzeit auf die Realwirtschaft durch. Die US-Wirtschaft könnte gegen Jahresende in eine leichte Rezession fallen, Europa kämpft weiterhin mit einer hartnäckigen Kerninflation, die den Konsum einschränkt.

Im Gegensatz dazu haben die Schwellenländer günstigere makroökonomische Aussichten. Wir prognostizieren eine durchschnittliche Wachstumsrate von vier Prozent in diesem Jahr, gegenüber 1,1 Prozent in den Industrieländern. Asien trägt dabei einen erheblichen Teil des Wachstums, trotz der jüngsten Schwäche in China. Die Größe der Märkte in der Region, geringere Arbeitskosten und die staatlichen Maßnahmen zur Verbesserung des Geschäftsklimas – dazu zählen steuerliche Anreize und eine geringere Regulierung – ziehen ausländische Investoren an.

Schwellenländer: China wird allmählich zum Sorgenkind

Ein überschuldeter Immobiliensektor, ein schwacher Haushaltskonsum, verschuldete Kommunalverwaltungen und das schwankende Vertrauen bei Verbrauchern und Unternehmen sind Warnsignale dafür, dass Chinas Konjunkturabschwächung eher struktureller als zyklischer Natur sein könnte. Das Land nähert sich rasch einer neuen Ära mit geringerem und unbeständigerem Wachstum. Nach der Veröffentlichung der BIP-Daten für das zweite Quartal haben wir unsere Wachstumserwartungen 2023 von 5,7 Prozent auf 5,1 Prozent herabgestuft. Auf einer wichtigen Tagung der Kommunistischen Partei bekräftigte die chinesische Führung gerade ihre relativ zurückhaltende Haltung, indem sie auf umfangreiche Konjunkturmaßnahmen zur Unterstützung der wichtigsten schuldenfinanzierten Wachstumsmotoren verzichtete und die lokalen Regierungen zwang, ihre eigenen impliziten Schuldenprobleme zu lösen.

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Auch in Indien könnte sich das Wachstum auf 6 Prozent abschwächen, obwohl erneute Investitionen in Sektoren wie Halbleiter, Elektrofahrzeuge und erneuerbare Energien für längerfristige Impulse sorgen dürften. In Lateinamerika und Osteuropa ist das Wachstumsbild uneinheitlicher. Aber viele Länder sind bei der Normalisierung der Geldpolitik bereits weit vorangeschritten. Die lokalen Zentralbanken haben schnell und massiv auf die drohende Inflation nach dem Corona-Ende reagiert, was Investoren den Spielraum gibt, um mit Carry Trades Zinsunterschiede auszunutzen, und den Weg für die bisher beste Performance des Jahres am Anleihemarkt geebnet hat. Angesichts des Inflationsrückgangs sollten sich die lokalen Entscheidungsträger auf Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte vorbereiten. Chile war das erste Land, das seinen Leitzins Ende Juli um 100 Basispunkte auf 10,25 Prozent senkte. Brasilien dürfte im August folgen, Kolumbien und Peru im September, wenn nicht schon früher; Mexiko eher im letzten Quartal.

Die mittel- und osteuropäischen Länder dürften wohl auch nachziehen, allen voran die polnische Nationalbank. Die Fed und die EZB hingegen sehen sich nach wie vor einem Aufwärtsdruck auf ihre Leitzinsen ausgesetzt. 

Kluft zwischen Schwellen- und Industrieländern wird geringer

Die Aussicht auf bevorstehende Zinssenkungen hat dazu beigetragen, die Kluft zwischen Industrie- und Schwellenländern zu verringern. Die Kreditkosten der öffentlichen Hand sind auf dem niedrigsten Stand seit 2007 und dürften Schwellenländer-Anleihen in Lokalwährungen Auftrieb verleihen, wobei in Lateinamerika ein deutlicher Aufwärtstrend zu erwarten ist. Die Renditen sind in der ersten Jahreshälfte gesunken, bieten Anlegern aber nach wie vor attraktive Einstiegspunkte in Bezug auf Zinsspanne und Carry, unterstützt durch einen schwächeren US-Dollar.

Auch die Bedingungen bei Unternehmensanleihen verbessern sich dank der geringeren Verschuldungsquote. Die Ausfälle im Hochzinssegment haben wohl ihren Höhepunkt erreicht und dürften in Lateinamerika, den europäischen Schwellenländern, dem Nahen Osten und Afrika allmählich zurückgehen. Auf der anderen Seite sollten die Risiken im Zusammenhang mit dem chinesischen Immobiliensektor genau beobachtet werden. Währungen mit geringer Volatilität – dazu zählen der Euro und der japanische Yen mehr als das britische Pfund – dürften von einem schwächeren US-Dollar profitieren.

Von günstigeren Bewertungen dürften auch die Schwellenländer-Aktien profitieren, wobei es regionale Unterschiede gibt. In Ländern, die in ihrem geldpolitischen Zyklus weiter fortgeschritten sind, könnte der Aktienmarkt sich schneller entwickeln. Die Margen erholen sich derzeit, die Erträge könnten wieder ins Positive drehen, insbesondere in der EMEA-Region und den asiatischen Schwellenländern. Anlegerinnen und Anleger sollten den Wachstumsvorteil der Schwellenländer zu ihren Gunsten nutzen, da er einen zunehmend unschätzbaren Beitrag zu einem ausgewogenen und diversifizierten globalen Portfolio darstellt.

Über den Autor: Monica Defend

Monica Defend, Leiterin des Amundi Instituts