31. Dezember 2022

Margarethe Honisch: So lernt man, mit Risiken umzugehen

Wer finanziell abgesichert leben möchte, muss sich um sein Geld kümmern. Das bedeutet auch: kalkulierte Risiken einzugehen! Für viele ist das gar nicht so leicht. Während Männer dazu neigen, zu ungestüm zu investieren, sind Frauen oftmals zu vorsichtig. Wie man das richtige Maß für sich herausfindet, erklärt Finanzexpertin und Bestsellerautorin Margarethe Honisch.

Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen handelt von einem großen Risiko, das meine Eltern eingegangen sind. Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen Moment, als ich mit meiner ganzen Familie im Auto saß und hinter uns die ganze Straße versammelt stand. Der Cousin meiner Mutter saß am Steuer, mein Vater auf dem Beifahrersitz und ich zwischen meiner Mutter und meiner Schwester, die beide bitterlich weinten.

Ich war zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt und verstand die Tränen nicht. Gerade als meine Mutter sich zusammenreißen konnte, um mir zu antworten, sagte meine Schwester: „Weil wir nicht wissen, ob wir Oma und Opa jemals wiedersehen.“ Als ich mich umdrehte, um noch mal einen Blick auf meine Großeltern zu werfen, die weinend und winkend hinter dem Auto standen, fuhren wir auch schon los. An den Rest der langen Fahrt kann ich mich nicht mehr erinnern, aber diese Erinnerung ist mir auch 33 Jahre später immer noch sehr präsent.

Es ist eine Erinnerung und eine Erfahrung, die mir schon früh gezeigt hat: Wenn du etwas in deinem Leben verändern willst, musst du auch bereit sein, Risiken einzugehen. Als ich in späteren Jahren meine Eltern fragte, warum sie eigentlich damals mit meiner Schwester und mir ausgewandert sind, kam immer die gleiche Antwort: „Damit ihr ein besseres Leben haben könnt.“

Es gibt viele Gründe, warum die meisten Menschen Risiken meiden. Risiko bedeutet Veränderung: Wenn ich ein Risiko eingehe, verändert sich meine jetzige Situation unweigerlich. Meine Entscheidung kann zu einer Verbesserung meiner Situation führen, zu einer Verschlechterung oder zu keiner Veränderung, was jedoch zumindest eine Enttäuschung bedeutet. Zudem kann ich meinen aktuellen Status quo verlieren. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und er gibt nicht gerne auf, was er hat. Wozu etwas riskieren, wenn ich mich in meiner aktuellen Lage wohl fühle? Ein Leben in der Komfortzone bedeutet weniger Angst, weniger Stress und regelmäßige kleine Glücksmomente. Das Problem dabei ist jedoch: In der Komfortzone kann kein Wachstum entstehen.

Das Zusammenspiel von Risiko und Rendite

Als meine Eltern Polen verließen, gingen sie ein immens hohes Risiko ein: Sie mussten ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen, wussten nicht, was auf sie zukommen würde, und auch nicht, ob sie ihre Familien jemals wiedersehen würden. Das Risiko war hoch – so aber auch die erhoffte Rendite. Würden sie es schaffen, sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen, hätten meine Schwester und ich die Chance auf eine bessere Zukunft. Es lohnt sich also nur dann, ein Risiko einzugehen, wenn die Belohnung am Ende hoch genug ist.

In der Finanzwelt ist es wie im echten Leben: Du musst bereit sein, Risiken einzugehen, um am Ende die Früchte zu ernten. Denn Risiko und Rendite sind untrennbar miteinander verknüpft. Je höher die mögliche Rendite deines Investments ist, desto größer ist in der Regel auch das Risiko. Das gleiche gilt andersherum: Je geringer das Risiko, desto niedriger die Rendite. Geld ist auf deinem Sparbuch und Girokonto vor Volatilität und Verlusten sicher – zumindest, wenn wir die Inflation ausklammern. Du bekommst hier aber leider (fast) keinen müden Cent für deine Ersparnisse.

Wenn du jedoch bereit bist, einen Teil deines Geldes in Aktien oder ETFs zu investieren, dann hast du die Möglichkeit, dein Geld zu vermehren. Der amerikanische Technologie-Index Nasdaq-100 hat sich zwischen 2017 und 2022 fast verdreifacht. Das bedeutet, wenn du 2017 in diesen Index investiert hättest, hätten sich deine Investitionen ebenfalls verdreifacht!

Das Risiko im Griff

Doch vergessen wir hierbei nicht die Volatilität: Zwischen November 2021 und Februar 2022 hat der Nasdaq-100 zwischenzeitlich über zehn Prozent Verlust gemacht. Das zeigt anschaulich: Nur wer Risiken eingeht und Schwankungen aushält, wird am Ende belohnt. Doch auch dies ist keine Garantie. Wer in Einzelaktien investiert, kann auch Totalverluste erleiden. Du kennst eben nie den garantierten Ausgang. Wer Anfang 2017 etwa 1.000 Euro in Tesla-Aktien investiert hatte, konnte sich Anfang 2022 über 16.000 Euro im Depot freuen. Wer zum selben Zeitpunkt die gleiche Summe in Wirecard investiert hatte, besaß fünf Jahre später noch etwa vier Euro. Es gibt an der Börse eben keine sichere Rendite. Denn Rendite beschreibt immer nur den erwarteten Gewinn auf das eingesetzte Kapital. Und dies ist nun einmal ungewiss. Risiko muss sich nicht immer auszahlen. Doch es gibt Möglichkeiten, dein Risiko zu minimieren, ohne die Erfolgsaussichten in gleichem Maße zu schmälern.

Das beste Mittel, dein Risiko zu senken, aber dennoch renditereich zu investieren, heißt Diversifikation. Das bedeutet, dass du dein Risiko streust. Du investierst also nicht nur in eine einzelne Aktie, sondern in viele verschiedene. Am besten nicht nur in verschiedene Unternehmen, sondern auch gleich in unterschiedliche Branchen.

Wenn du sechs verschiedene Aktien im Depot hast, diese aber von Tesla, BMW, Daimler, VW, Porsche und Ferrari sind, ist das noch keine echte Diversifikation. Denn was passiert, wenn es der gesamten Automobilbranche schlecht geht? Wenn plötzlich alle nur noch Flugtaxis nutzen oder die Menschen durch eine weltweite Rezession kein Geld mehr für neue Autos haben? Dann leiden natürlich auch die Aktien der betroffenen Unternehmen, und dein Aktiendepot schreibt rote Zahlen.

Du musst also auch in verschiedene Branchen investieren. Dann besteht dein Aktiendepot beispielsweise aus BMW (Automobil), Allianz (Versicherung), Beiersdorf (Konsumgüter), SAP (Technologie), Siemens Energy (Energie) und Zalando (Kleidung/E-Commerce). Geht es der Wirtschaft gerade schlecht und die Leute haben kein Geld für ein neues Auto oder neue Kleidung, brauchen sie trotzdem noch Shampoo und Strom. Hier ist dein Aktiendepot also schon viel besser diversifiziert, und die Krise einer ganzen Branche trifft dich nicht mehr so hart.

In mehrere Regionen investieren

Trotzdem hast du noch immer ein hohes Risiko im Portfolio, denn du investierst nur in eine einzige Region. Zwar ist Deutschland aktuell eines der wirtschaftsstärksten Länder, trotzdem solltest du niemals nur in ein einziges Land oder eine Region investieren. Auch hierzulande kann es wieder eine Zeit der Massenarbeitslosigkeit und sinkender Wirtschaftskraft geben. Daher solltest du auch immer in mehrere Regionen investieren – idealerweise weltweit. Das bedeutet bis hierher: Um dein Risiko zu senken, solltest du in unterschiedliche Unternehmen aus voneinander unabhängigen Branchen in verschiedenen Regionen investieren.

Wie bereits erwähnt hatte ich vor ein paar Jahren auch in Wirecard investiert – und mein gesamtes Geld verloren. Natürlich hat es mich geärgert, dass sich mein Geld in Luft auflöste und ich für mein Risiko diesmal nicht belohnt wurde, aber trotzdem hat mich dieser Totalverlust finanziell nicht ruiniert oder in eine bedrohliche Situation gebracht, denn ich hatte mein Risiko breit gestreut und viele verschiedene Unternehmen im Depot. Diese hatten mittlerweile eine so hohe Rendite erzielt, dass ich den Verlust durch meine anderen Investitionen aufwiegen konnte und unterm Strich noch immer eine gesunde Rendite hatte.

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Gesunde Risikotoleranz

Beim Investieren unterscheidet man zwischen der psychologischen Risikotoleranz und der finanziellen Risikokapazität. Risikotoleranz ist sehr subjektiv und unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Wir haben schon gesehen, dass bei Frauen in den meisten Fällen eine niedrigere Risikotoleranz als bei Männer gemessen wurde. Viele Frauen haben Angst zu investieren, aus Furcht, dieses Geld möglicherweise zu verlieren. Deswegen lassen sie es gleich sein und verzichten auf einen möglichen Gewinn in Form einer Rendite.

Was ist aber mit all den Fehlkäufen, die jede von uns schon mal beim Shoppen gemacht hat? Teilweise mit einem höheren Betrag, als eine einzelne BMW-Aktie überhaupt kosten würde. Ich habe in meinem Leben schon wesentlich mehr Geld durch Fehlkäufe verloren als durch schlecht laufende Investments. Würde ich hier mit der- selben Risikotoleranz handeln, dürfte ich gar nicht mehr shoppen gehen. Schließlich wissen wir auch nicht, ob sich das neue Kleid am Ende als Fehlkauf herausstellt oder nicht.

Du musst also das richtige Level für deine psychologische Risikotoleranz finden. Überlege dir also, welches Risiko du mental ertragen kannst. Mit welcher Volatilität kannst du nachts noch gut schlafen, ohne Angst haben zu müssen, dass du bei einem längeren Kurseinbruch finanziell ernsthaft leidest? Neben der psychologischen Risikotoleranz gibt es auch die finanz- mathematische Risikotoleranz oder auch die Risikokapazität. Diese lässt sich ganz objektiv berechnen, indem man die gesamte finanzielle Situation betrachtet. Hierbei stehen folgende Fragen im Zentrum:

Welche Risiken kann man finanziell tragen?

Beim Investieren darfst du nur Geld einsetzen, auf das du vorübergehend auch problemlos verzichten kannst. Aktienkurse steigen und fallen – du weißt nie, welche Phase als nächste kommt. Wenn du kurzfristig auf das Geld in deinem Aktiendepot angewiesen bist, die gesamte Börse aber gerade einen Bärenmarkt durchlebt, kannst du deine Aktien nur mit Verlust verkaufen. Solange deine Aktien oder ETFs „nur“ an Wert verloren haben, hast du Buchverluste.

Sobald du aber diese Buchverluste realisierst, indem du deine Aktien oder ETFs verkaufst, gibt es kein Zurück mehr: Dann hast du wirklich Geld verloren, und du profitierst nicht mehr von einer möglichen anschließenden Erholung, das heißt, du verlierst im Grunde doppelt. Als Faustformel gilt: Je größer deine Rücklagen sind und je höher dein Einkommen ist, desto höher kann auch das finanzielle Risiko sein, das du eingehst.

Analysten haben übrigens in einer Studie alle Bullen- und Bärenmärkte seit 1988 untersucht und festgestellt, dass ein Bullenmarkt im Durchschnitt 22 Monate dauert, ein Bärenmarkt hingegen nur sechs Monate. Auch wenn Anlegerinnen der Bärenmarkt unendlich lang erscheint, da hier der Leidensdruck viel größer ist, sind die meisten Monate an der Börse gute Monate, in denen sich dein Geld vermehren kann. Durchschnittlich stiegen in diesem Zeitraum die Aktienkurse während eines Bullenmarktes sogar dreieinhalbmal höher: Der Durchschnittsertrag eines Bullenmarkts lag bei 113 Prozent, während Bärenmärkte durchschnittlich rund 32 Prozent verloren.

Tipp: Mit unserem Risikorechner kannst du anhand von zehn Fragen die optimale Aktienquote für dein Portfolio ermitteln.

Welche Risiken muss man finanziell tragen?

Da Risiko und Rendite zusammenhängen, gibt es auch ein gewisses Maß an Risiko, das du tragen musst, damit du ein finanzielles Ziel überhaupt erreichen kannst. Um noch einmal das Thema Altersvorsorge zu nehmen: Je größer deine Rentenlücke, desto größer das Risiko, das du eingehen musst. Während die erste Frage deine Ist-Situation betrachtet, dreht sich in dieser Frage alles um deine Soll-Situation. Du musst also auch bereit sein, ein kalkuliertes Risiko einzugehen, um finanziell das zu erreichen, was du dir zum Ziel gesetzt hast. Oder zumindest das zu erreichen, was du später brauchst, um die Rentenlücke zu füllen und nicht von Altersarmut gefährdet zu sein. Und sollten deine Ist- und deine Soll-Situation identisch sein – herzlichen Glückwunsch, dann bist du finanziell frei!