Rohstoffe: Kommt jetzt ein neuer Superzyklus?
Verwundbare Infrastrukturen, enorme Abhängigkeiten und rasant steigende Preise. Die aktuelle Krise legt viele Schwachstellen unserer Wirtschaft offen. Doch sie ist auch eine Chance, die Dekarbonisierung voranzubringen. Dafür braucht es aber die – sehr teuren – Rohstoffe mehr denn je. Steht ein neuer Superzyklus bevor?
Steigende Rohstoff-Preise sind nichts Neues. Im Jahr 2000 begann plötzlich ein Rohstoff-Boom, der die Depression der 1980er und 1990er Jahre vergessen machte: Platin kostete 2008 mehr als 2.000 US-Dollar pro Feinunze. Im September 1999 waren es noch 349 US- Dollar. Öl, Anfang des Jahrtausends für 30 US-Dollar pro Fass zu haben, war im Herbst 2008 fast 150 US-Dollar teuer. Im Januar jenes Jahres war erstmals die 100-US-Dollar-Marke gefallen. Uranium war von 10 US-Dollar pro Kilo 2001 auf mehr als 300 US-Dollar 2007 gestiegen. Die prosperierenden BRIC-Staaten mit hohem Wachstumstempo brauchten Öl, Industriemetalle, Chemikalien. Und mit mehr Wohlstand in China, Indien und Russland, ihrem Konsum und neuen Bedürfnissen kletterten die Preise für Rohstoffe. Nahrungsmittel wurden ebenfalls teurer, weil die Bevölkerung in den Schwellenländern wuchs. Ein neuer Superzyklus hatte begonnen. Er dauerte bis 2008. Bis zur Finanzkrise.
Ein Superzyklus bedeutet, dass die Preise langfristig – also mindestens zehn Jahre – steigen, weit über durchschnittliche Schwankungen hinaus. Ein solcher Zyklus entsteht dadurch, dass ein Strukturwandel die Nachfrage antreibt und diese nachhaltig das Angebot übersteigt. Das war zu Beginn des Industriezeitalters so und nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der jüngeren Vergangenheit sind viele Rohstoffe erneut teurer geworden. Etwa Kupfer, das sich zwischen Frühjahr 2020 und Frühjahr 2021 mehr als verdoppelt hat. Oder Brent-Öl, das von 37 auf über 100 US-Dollar pro Fass gestiegen ist. War das lediglich der Aufschwung nach den Anfängen der Pandemie? Die Folge der beginnenden Dekarbonisierung? Fakt ist: Die Pandemie hat eine bislang einmalige Kombination von Angebots- und Nachfrageschocks auf den Rohstoffmärkten ausgelöst. Soforthilfen und Konjunkturpakete befeuerten zusätzlich die Nachfrage, der ein zu geringes Angebot gegenüberstand. Die Folge: enorme Preissteigerungen. Ist das ein Superzyklus?
Ein Strukturwandel findet statt
Fakt ist auch: Die Dekarbonisierung der Wirtschaft bewirkt einen Strukturwandel, der einen Nachfrage-Anstieg nach Rohstoffen mit sich bringt. Eine kurzfristige Erholung nach dem Einbruch im Jahr 2020? Oder mehr? Oder der Strukturwandel, der doch Grundvoraussetzung für einen Superzyklus ist?
„Die Lage an den Rohstoff-Märkten ist so angespannt wie seit 30 Jahren nicht“, sagt Michael Blumenroth, Rohstoff-Experte der Deutschen Bank. „Vor allem die Energiepreise werden auf absehbare Zeit hoch bleiben, weil fehlende Investitionen der Vergangenheit auf eine hohe bzw. steigende Nachfrage treffen.“ Doch er gibt auch Entwarnung: Hier führe die aktuelle Krisenlage zwar zu Preissteigerungen, doch die unterscheiden sich signifikant von einem Superzyklus. Wo könnten die Chancen für einen neuen Superzyklus größer sein, wenn nicht bei Energie?
Die Nachfrage nach Industriemetallen steigt enorm
„Am größten sind die Chancen für einen Superzyklus nach unserer Einschätzung bei Industriemetallen. Wenn der Strukturwandel hin zu Dekarbonisierung und erneuerbaren Energien weiter Fahrt aufnimmt, wird in den nächsten Jahrzehnten die Nachfrage nach Industriemetallen das Angebot deutlich übersteigen“, argumentiert Michael Blumenroth. Allein die zunehmende Elektromobilität würde die Nachfrage nach Kupfer, Aluminium, Nickel und Kobalt forcieren. „Wir sehen deshalb gute Chancen für steigende Preise bei Industriemetallen über die nächsten Jahre.“
Beschleunigt die Dekarbonisierung den Strukturwandel?
Zugleich könnte die Dekarbonisierung den Beginn eines Superzyklus beschleunigen, weil die Energie aus fossilen Brennstoffen zu teuer geworden ist: „Allein ein Drittel der Aluminiumproduktion ruht derzeit, weil die Produktion durch die hohen Strompreise zu teuer geworden ist“, ergänzt Michael Blumenroth.
„Europa leidet möglicherweise mittel- bis längerfristig unter immensen Stromkosten. Das wird weitere Angebotsengpässe mit sich bringen bei sehr hoher Nachfrage. Die aktuelle Krise wird die Energiewende demnach beschleunigen. Viele Staaten, darunter Deutschland, sind bestrebt, Abhängigkeiten zu verringern. Hier zeigt sich ein breit angelegter, internationaler Wandel. Wir erwarten keinerlei langfristige Rückwendung zu fossilen Brennstoffen.“ Vielmehr fließe Kapital von den traditionellen Energie-Märkten in erneuerbare Energien, weil Unternehmen und Investoren ihre Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards (ESG) und -Ansätze verbessern wollen.
Paradoxe Realitäten
Dabei bringe die Dekarbonisierung ein Paradoxon mit sich: „Die Nachfrage nach Metallen wird durch die Energiewende und die Dekarbonisierung steigen, aber es fehlt andererseits momentan – gerade in Europa – an Öl und Gas, um die Metalle, die für die neuen Energien erforderlich sind, zu marktgerechten Preisen zu produzieren.“
Fehlende Investitionen in der Vergangenheit rächen sich
Jeffrey Currie, globaler Leiter der Rohstoff-Analyse bei Goldman Sachs, bemängelt fehlende Investitionen in der Vergangenheit. Er habe bereits vor zwei Jahren für einen Superzyklus bei Rohstoffen – von Öl und Gas über Metalle bis hin zu Nahrungsmitteln – argumentiert. Begründung: In den vergangenen Jahren sei zu wenig in die Old Economy investiert worden, weil die Renditen „der Netflixes dieser Welt“ höher waren. „Es ist kein Zufall, dass den letzten beiden Rohstoff-Superzyklen ähnliche Boom-Bust-Phasen in der New Economy vorausgingen. Wie damals hat das Ausmaß der Unterinvestition in der alten Wirtschaft dazu geführt, dass wir jetzt ein unzureichendes Angebot haben“, erklärt Currie in den Goldman Sachs „Insights“. Auf der Nachfrageseite habe die Pandemie schwere Ungleichheiten ausgelöst. Das zwinge die Politik zu Umverteilung, zu Investments in Umwelt und Deglobalisierung und treibe ebenfalls die Rohstoff-Nachfrage. „Diese Kombination aus enormen strukturellen Angebotsengpässen durch andauernde Unterinvestition – die wir als die „Rache der Old Economy“ bezeichnen – und die politisch motivierte Nachfrage haben zur derzeitigen prekären Lage geführt.“
Investoren hätten über Jahre nicht in den Rohstoffsektor investiert, weil die Renditen zu gering waren, die Volatilität da- gegen zu hoch und weil durch die Politik – siehe die Vorschläge einer Windfall-Profit-Steuer – Investitionen nach Einschätzung von Currie nicht attraktiv genug gewesen seien. Dennoch sieht er vor allem Potenzial bei Brennstoffen und Nahrungsmitteln. Neben den zu geringen Investitionen und der Anfälligkeit für Angebotsschocks sollte die Nachfrage durch Subventionierungen recht hoch bleiben und die Preise treiben. Auf längere Sicht sollten auch die Metalle wieder ins Spiel kommen – trotz des sich verschlechtern- den Wirtschaftswachstums und der Dollar-Aufwertung: „Industriemetalle sind Mittelpunkt des enormen grünen Investitionsbooms, den wir für das nächste Jahr erwarten und der schätzungsweise 16 Billionen Dollar an Neuinvestitionen in diesem Jahrzehnt erfordert. Das entspricht der Größe Chinas in den 2000er Jahren.“ Doch diese Investitionen seien noch nicht genug: „Der Investitionsbedarf wird sich im nächsten Jahrzehnt auf die Größe von zwei Chinas verdoppeln.“ Das dürfte vor allem die Kupfer-Nachfrage anheizen.
Rohstoffe werden teurer
Michael Blumenroth verweist auch auf Rohstoffe, ohne die Umweltschutz bzw. ein Abbremsen des Klimawandels gar nicht machbar seien: Seltene Erden, Germanium, Gallium oder Tellur. Sie sind Teil des Problems aufgrund ihres Abbaus, aber gleichzeitig Teil der Lösung: „Viele dieser Rohstoffe stammen aus wenig zuverlässigen Lieferquellen, werden aber in immer größeren Mengen benötigt. Allein vier Fünftel der weltweiten Gallium- Produktion stammt aus China.“ Gallium ist ein wichtiger Rohstoff der Chip-Industrie. Bei Germanium kämen 72 Prozent aus China. Germanium wird für die Produktion von Solarzellen, für Glasfaserkabel und Katalysatoren benötigt. „Die müssen verfügbar sein, und das verstärkt Abhängigkeiten.“ Außerdem gefährden ökologisch und ethisch bedenkliche Abbaumethoden die gesellschaftliche Akzeptanz so mancher Rohstoff-Gewinnung. Zugleich gelten Rohstoffe wie Germanium als kritisch. „Das heißt, sie haben große wirtschaftliche Bedeutung, sind aber nahezu nicht oder nur sehr schwer zu ersetzen. Das treibt die Preise.“
Was dennoch gegen Superzyklen bei bis dato unerlässlichen Rohstoffen spräche, wären bahnbrechende Erfindungen oder Entdeckungen, die ein adäquater Ersatz sind. „Auch eine Abwendung vom Klimaschutz, also das Ende eines Strukturwandels als eines der Hauptmerkmale eines Superzyklus, wäre ein Risiko. Doch das sind Faktoren, die derzeit nicht absehbar sind“, sagt Blumenroth.
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Nicht jeder Boom ist auch ein Superzyklus
Bei einigen Rohstoffen sei ein Superzyklus hingegen unwahrscheinlich: „Bei Nahrungsmitteln wird sich die Lage mit dem Ende des Ukraine-Krieges hoffentlich entspannen, obwohl die Bevölkerung in der Welt weiter wächst“, prognostiziert Michael Blumenroth, „denn nicht jeder Nachfrage-Boom mündet in einen Superzyklus.“ Ähnlich sei die Lage bei Gold: Derzeit bei aktuell hohen Inflationsraten steigt die Nachfrage, aber eben nicht signifikant: „Wir sehen hier ein stetiges Wachstum eher in Höhe der Inflationsrate, einen anhaltenden Flow, vor allem wenn der US-Dollar wieder schwächer wird, aber keine enormen Steigerungen.“
Fazit
Die Chance auf einen neuen Superzyklus ist laut Experten bei Industriemetallen groß, weil die Dekarbonisierung und der Wandel hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft große Mengen an Metallen erfordern. Auch bei anderen Rohstoffen, wie Nahrungsmitteln oder Gold, dürfte die Nachfrage steigen.