Die Zinsen und der Euro: Droht jetzt eine neue Eurokrise?
Nachdem die Zinsen auf italienische Staatsanleihen zuletzt deutlich gestiegen waren und die Europäische Zentralbank (EZB) kürzlich überraschend eine Krisensitzung einberufen hatte, stand auch bei den Finanzministern eine Frage im Mittelpunkt: Kehrt nach dem Krieg nun auch noch die Eurokrise nach Europa zurück?
Vor genau zehn Jahren befand sich die Schuldenkrise auf ihrem Höhepunkt. Kaum wagt sich die EZB an den Ausstieg aus dem Dauer-Krisenmodus, müssen südeuropäische Länder schon wieder deutlich mehr für die Aufnahme neuer Schulden zahlen. Für Italien sind die Zinsen mit 4,20 Prozent für Schuldpapiere, die zehn Jahre laufen, zum ersten Mal seit 2014 wieder über die Marke von vier Prozent gestiegen, Griechenland musste Anlegern sogar 4,60 Prozent bieten.
Notsitzung der EZB
In ihrer Notsitzung beriet die Notenbank über neue Aufkaufprogramme, um die Lage zu beruhigen. Man arbeite an einem neuen geldpolitischen „Instrument“, um die „Fragmentierung“ – eine Ausweitung der Renditeunterschiede zwischen den Ländern der Währungsunion – zu verhindern, teilte sie hinterher mit.
Doch wurde die Frage nach der Sitzung nur noch nachdrücklicher gestellt: Droht nun tatsächlich ein Wiederaufflammen der Eurokrise? Oder findet mit dem Ende der lockeren Geldpolitik lediglich eine Normalisierung statt, die zwar schmerzhaft ist, aber nicht in einem neuen Euro-Crash mündet?
Europas Sorgenkinder
In der Coronapandemie ist die Verschuldung im Euro-Raum auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Verschuldung gemessen an der Jahreswirtschaftsleistung liegt bei rund 100 Prozent, in einigen Ländern ist der Schuldenstand noch viel höher: Griechenland steht mit fast 200 Prozent in der Kreide, Italien mit 150 Prozent und Portugal mit 130 Prozent.
Aufgrund seiner Größe gilt allen voran Italien als größte Gefahr für den Euro. Eine Pleite Italiens könnten die anderen Euro-Länder anders als etwa eine erneute Insolvenz Griechenlands nur schwer auffangen. Solange die EZB wie in den vergangenen Jahren viele Staatsanleihen von Euro-Staaten aufkaufte und das Zinsniveau so niedrig hielt, waren die hohen Staatsschulden kein Problem. Doch das ändert sich jetzt, da die EZB diese Politik beendet. Jetzt müssen die Euro-Staaten wieder höhere Zinsen für die Aufnahme neuer Schulden zahlen. Nur, dass die Schulden jetzt auf Rekordniveau liegen.
Lage nicht wie vor 10 Jahren
Allerdings ist die Lage heute nicht einfach mit der von vor zehn Jahren vergleichbar. So ist die Zinslast der Euro-Staaten insgesamt viel geringer als damals. Selbst wenn Italien zu den aktuellen Zinsen neue Anleihen ausgibt und damit auslaufende Schuldpapiere refinanziert, spart das Land immer noch Geld, weil die Zinsen immer noch fast halb so hoch sind wie vor zehn Jahren.
Der zweite große Unterschied zu damals: Mit dem Euro-Rettungsschirm ESM, dem Bankenrettungsfonds sowie den Anleihekaufprogrammen der EZB, die wieder aktiviert werden können, stehen anders als 2012 mehrere wirksame Instrumente bereit, um gegen eine neue Eurokrise anzukämpfen.
Es war wohl deshalb auch etwas zu dramatisch, dass die EZB gleich zu einer „Notfall-Sitzung“ zusammengekommen ist. Es wäre mit weniger Aufregung gegangen. Wieder einmal hat die EZB sich und der Gemeinschaftswährung einen Bärendienst erwiesen.
Dr. Marc-Oliver Lux ist Geschäftsführer von Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München
Autor Redaktion
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