„Eine unerfreuliche Situation für die Weltwirtschaft”
Markus Jordan, Herausgeber des Extra-Magazin, traf sich mit Dr. Martin Lück, dem Chief Investment Strategist bei Blackrock für die DACH-Region und Osteuropa, zu einem ausführlichen Gespräch über die bevorstehenden US-Wahlen. Im Zuge dessen sprach der Finanzexperte über die makroökonomischen Auswirkungen sowie über mögliche „Zollkriege”, falls Präsident Trump die Wahl für sich entscheidet.
Die US-Wahlen stehen vor der Tür und erst Anfang Februar hat Trump eine Rede „zur Lage der Nation” gehalten, die etwas „speziell” war. Was ist denn Ihre Einschätzung zur wirtschaftlichen Lage in den USA?
Trump hat in seiner Rede zur Lage der Nation sehr ausführlich dargestellt, wie „großartig” alles ist, was er bisher in seiner Präsidentschaft alles geleistet hat und natürlich – mit Blick auf den Wahlkampf – was er jetzt noch alles von seiner Agenda umsetzen möchte. Trump hat seinen Wählern ja schon 2016 versprochen, eine Kombination aus Wirtschaftswachstum in der Größenordnung von drei bis vier Prozent, gigantische Infrastrukturinvestition und massive Steuererleichterungen herbeizuführen. Solche Maßnahmen zur Deregulierung sind erzökonomische Themen. Dazu gesellen sich andere Aspekte, die vordergründig zwar politische Ziele verfolgen, aber mit starken ökonomische Nebenwirkungen daherkommen. Zum Beispiel Trumps Versprechen, die Immigration einzuschränken, den internationalen Freihandel zu Amerikas Gunsten umzugestalten und damit eine „Amerika-First-Strategie” zu verfolgen. Schließlich kommen wir zu denselben Schlussfolgerungen, die auch viele amerikanische Forschungsinstitute bestätigen: Die kurzfristigen Folgen der Trump’schen Politik sind erstmal marktfreundlich. Der Grund dafür ist simpel. Deregulierungen, Steuersenkungen, Infrastrukturinvestitionen und dergleichen stellen für die Märkte erfreuliche Nachrichten dar. Bloß: Langfristig sind die Folgen der Trumpschen Politik nachteilig – und das nicht nur für die US-Wirtschaft.
Von was für einer Zeitspanne sprechen Sie?
Langfristig heißt über einen Zeitraum von zehn Jahren und länger. Das entspricht in etwa auch der Zeitspanne, in der die Auswirkungen der Steuerreform richtig zum Tragen kommen. Durch die Steuerreform 2017/2018 wurden die Möglichkeiten amerikanischer Wirtschaftspolitik eingeschränkt, allein da sich der fiskalische Spielraum dramatisch verkleinert hat. Doch das ist nicht die einzige Entwicklung, die das Land wirtschaftlich weniger attraktiv macht. Hinzu kommt die tiefgreifende Spaltung der Bevölkerung, nicht nur zwischen Arm und Reich, auch zwischen allen möglichen politischen Lagern wächst die Feindschaft und damit das Unverständnis. Themen wie Abtreibung oder Migration werden zunehmend polarisiert. Die Präsidentschaft Trump vertieft diesen Graben, was sich auf den Wirtschaftsstandort USA negativ auswirkt. Mit den Folgen dieses Desasters wird allerdings erst die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Trump richtig zu kämpfen haben.
Moment, Nachfolger? Ist es gerade nicht eher wahrscheinlich, dass Trump die bevorstehenden Wahlen gewinnen wird?
Das ist relativ schwer zu prognostizieren, aber derzeit muss man sagen: Die Wahrscheinlichkeit dafür ist vermutlich größer als 50 Prozent. Das liegt erstens am Amtsbonus, den ein geschäftsführender Präsident in den USA traditionell hat. Auch statistisch gesehen bleiben die meisten Präsidenten acht Jahre im Amt, da gibt es nur wenige Ausnahmen. In den letzten Jahrzehnten wurden nur Jimmy Carter und George Bush Senior nach einer vierjährigen Amtszeit abgewählt. Alle anderen Präsidenten waren länger im Amt, auch George W. Bush, der ja sehr umstritten war. Diesbezüglich hat Trump also schon mal einen kleinen Bonus.
Mit welchen Vorteilen geht Trump noch ins Rennen?
Ein weiterer Vorteil ist, dass Trump es geschafft hat, ein besonderes Narrativ zu „verkaufen”: Dass er Amerika ändern und sich gegen das Establishment stellen würde, als „Rächer der kleinen Leute” sozusagen. Dass er selbst ein Immobilienmogul aus New York ist, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Doch er hat diese Story sogar so erfolgreich verkauft, dass Soziologen dieses Phänomen untersuchen und verschiedene Ansätze diskutieren, wie er damit Erfolg haben konnte. Fakt ist, dass Donald Trump eine stabile Wählerbasis hat, die in der Größenordnung von bis zu 35 Prozent liegt. Das sind Menschen, die ihn wählen, egal was er macht. Die ihn einfach nur dafür wählen, weil er für sie das „Anti-Establishment” verkörpert. Das verschafft ihm eine unglaublich treue Wählerbasis, während ein großer Teil der amerikanischen Wähler zudem hin- und hergerissen ist. Und noch etwas kommt ihm zugute, was nicht unwesentlich ist: Die Demokraten als Oppositionspartei sind heillos zerstritten. In den Augen der Wähler sind ihre politischen Vorschläge weit aufgefächert, sie haben kein überzeugendes Personentableau und keinen Kandidaten, der vielleicht so etwas bewirken hätte können wie einen Moment des Umdenkens – so wie wir das 2008 bei Obama beobachten konnten.
Die Vorwahl der Demokraten war ja auch nicht gerade glücklich oder?
Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Die Vorwahl bei den Demokraten war ein totales Desaster. Die Iowa-Wahl ist jetzt schon ein Menetekel, das tief blicken lässt. Darüber reiben sich die Republikaner nun die Hände. Und so spricht im Moment alles dafür, dass Trump wiedergewählt wird, aber, und jetzt kommt das große Aber: Es wird sehr knapp. Viel knapper als man denkt. Das Zünglein an der Waage bilden die Swing States, die aber gemessen an ihrer Bevölkerungsdichte überproportional viele Wahlleute stellen. Es gibt amerikanische Analysten, die ausgerechnet haben, dass ungefähr acht Prozent der amerikanischen Wähler tatsächlich entscheiden, wer Präsident wird und wer nicht. Das bezieht sich zwar nicht auf die Zusammensetzung im Repräsentantenhaus bzw. im Senat, aber sehr wohl darauf, wer ins Weiße Haus einzieht. Am Ende ist also nur entscheidend, wer sich in den Swing States wie Ohio, Pennsylvania und Wisconsin durchsetzt. Die Wahl 2016 hat Trump gewonnen, 2020 könnte das aber anders sein. Wir haben noch über acht Monate bis zur Wahl. Da kann eine Menge passieren. Und Trump ist ja auch dafür bekannt, sich in Skandalen zu verstricken. Insofern ist sein Wahlsieg vielleicht doch nicht so klar, wie es im Moment aussieht, selbst wenn die Demokraten derzeit ein desaströses Bild abgeben.
Doch scheint es nicht eher so, dass seine Skandale ihm irgendwie nicht geschadet, sondern Trump im Gegenteil noch immuner gegen jegliche Kritik gemacht haben? Wo doch gerade seine treuen Fans noch mehr zu ihm stehen als eh und je?
Diese Beobachtung ist genau richtig und das obwohl Trump wahrscheinlich der umstrittenste Präsident der letzten Jahrzehnte oder zumindest der jüngeren Geschichte ist. Auch vor der Ukraine-Affäre hätte es mehrere Gründe gegeben, ein Impeachment gegen Trump einzuleiten, aber natürlich wussten die Demokraten und auch Nancy Pelosi ganz genau, wie riskant das ist. Jetzt ist genau das passiert, was die Demokraten vermeiden wollten: Das Impeachment ist an ihm abgeprallt und hat dazu geführt, dass die republikanische Partei geschlossen hinter Trump steht – gezwungenermaßen. Wir sehen zum Beispiel an den Aussagen von John Bolton und anderen Zeugen, die gegen Trump hätten aussagen können und die das Verfahren in eine andere Richtung hätten lenken können. Der Ausgang des Verfahrens hat nun aber bestätigt: Trump kann im Prinzip machen, was er will. Er selbst hat mal gesagt: „Ich könnte auf der 5th Avenue einen Menschen erschießen und ich würde trotzdem gewählt werden”. Nun glauben immer mehr Amerikaner, dass diesem Präsidenten nicht beizukommen ist.
Wie reagiert denn die Wirtschaft jetzt darauf? Oder anders gefragt: Wie richtet sich die amerikanische und auch globale Wirtschaft darauf ein?
Ich glaube, dass die meisten ökonomischen Entscheider so pragmatisch wie möglich damit umgehen, wohl wissend, dass sie höchstens noch eine weitere Präsidentschaft durchhalten müssen und dann wird dieses „merkwürdige Ereignis” auch vorbei sein. Der kritische Punkt dabei ist, dass niemand genau weiß, mit welchen Merkwürdigkeiten wir uns bis dato noch beschäftigen müssen. Niemand will Trump provozieren. Unternehmen in den Vereinigten Staaten schon gar nicht. Wenn ihm ein Unternehmen nicht in dem Kram passt, kann es durchaus sein, dass Trump aus der Hüfte wirtschaftliche Bedingungen schafft, die dann sehr nachteilig für den Betrieb sind. Das wollen Unternehmen natürlich vermeiden. Da geht man der Konfrontation lieber aus dem Weg und versucht, pragmatisch, die Realität so anzunehmen, wie sie ist.
Müssen Unternehmen also tun und lassen, was auch immer der Präsident will?
Nein. Ich denke, dass viele Unternehmen inzwischen auf größere Distanz gegangen sind. Auch gerade, weil viele Dinge von der Bevölkerung und damit von potenziellen Kunden viel ernster genommen werden als früher. Fragen der Nachhaltigkeit, der Umweltproblematik, Verteilungsfragen, soziale Fragen und schließlich auch viele Governance-Themen beschäftigen die Menschen viel intensiver als noch vor vier Jahren. Und da sagen sich jetzt natürlich viele Unternehmer, wenn wir uns zu sehr auf die Seite von Trump stellen und dann letzten Endes auch von unseren Kunden zu stark in diesem Kontext wahrgenommen werden, dann wird uns das wirtschaftlich schaden. Klar, man versucht zwar, den Präsidenten nicht zu provozieren und irgendwie mit dem Strom zu schwimmen, auf der anderen Seite aber auch, sich nicht mit ihm gemein zu machen. Es ist ein Balanceakt.
Auf einer neutralen Position?
Nennen wir es eine neutrale, pragmatische Positionierung. Man könnte diese Haltung aber auch als opportunistisch bezeichnen, allein da viele Unternehmen die Steuergeschenke der Trump-Administration Anfang 2018 gerne mitgenommen haben.
Letztendlich ist Amerika aber nicht allein auf Welt. Es gibt ja auch noch andere Länder. Diesbezüglich avancierte ja gerade die ganze Zollthematik zum internationalen Brennpunkt. Wie schätzen Sie das ein gerade mit Blick auf eine zweite Amtszeit? Könnte eine Wiederwahl weiter Öl ins Feuer kippen?
Das mag schon sein. Seine Persönlichkeit verlangt natürlich geradezu danach, auch wirklich das zu liefern, was er seinen Wählern versprochen hat. Zudem glaubt er tatsächlich auch, dass er das alles liefern kann. Er glaubt, er kann Außenpolitik, er glaubt, er kann Handelspolitik, Wirtschaftspolitik sowieso und so weiter. Das trifft erwiesenermaßen aber nicht zu. Dazu muss man nur seine Tweets lesen. Fakt ist, dass er zumindest versuchen wird, das, was er versprochen hat, zum Beispiel Arbeitsplätze in den mittleren Westen zurückzubringen, zu liefern. Und wenn er es im Zuge dessen für eine gute Idee hält, die europäischen Autohersteller mit Zöllen zu belegen oder gegen andere Regionen der Welt vorzugehen, dann wird er das auch tun. Und das könnte tatsächlich enorme ökonomische Folgen haben und damit auch Folgen für die Finanzmärkte.
Mal angenommen Trump würde tatsächlich beschließen: Wir wollen keine ausländischen Autos mehr ins Land lassen und erschweren das durch Zölle. Könnte das die amerikanische Autoindustrie überhaupt auffangen?
Nein, kurzfristig sicherlich nicht. In einem solchen Szenario müssten die Amerikaner für mehrere Jahre deutlich weniger Autos kaufen oder zumindest sehr, sehr lange warten. Dann würden Zustände herrschen wie früher in der DDR: Man bestellt einen Trabbi und muss gute zehn oder 15 Jahre darauf warten. Das wird so nicht gehen. Vorstellbar wäre eher, dass man die Einfuhr so reguliert, dass ausländische Autos extrem teuer werden. Also zum Beispiel deutsche, japanische und koreanische Autos.
Würde Trump in so einem Szenario nicht dem eigenen Volk schaden, weil Amerikaner dann für ihr Wunschauto deutlich mehr zahlen müssten?
Selbstverständlich, das würde er. Aber er würde das schon gut zu verkaufen wissen nach dem Motto: Ein paar Leute müssen eben mehr zahlen für ihr Auto – die Reichen! Außerdem kommt hinzu: Bis die wirtschaftlichen Folgen richtig „zuschlagen”, braucht er sowieso nicht mehr wiedergewählt werden. Seine Nachfolgerin bzw. sein Nachfolger müsste sich dann damit rumschlagen. Auch wenn man ihn lieber nicht auf dumme Ideen bringen sollte, so könnte die Maßnahme ja für ihn funktionieren. Er könnte sagen: „Ich besteuere jetzt den Import von Autos und zwar radikal. Ich veranschlage Zölle von 25 Prozent auf alle importierten Autos aus Deutschland, aus Korea, aus Japan, aus China und vielleicht Luxushersteller aus Italien. Die Zolleinnahmen, die ich daraus generiere, verwende ich als direkte Subvention für die Autoindustrie im mittleren Westen. Und jeder Arbeitsplatz, der dort geschaffen wird, subventioniere ich mit Summe X”. Dann könnte er sich hinstellen und sagen: „Schaut her, ich habe genau das getan, was ich euch versprochen habe”.
Arbeitsplätze geschaffen?
Ja genau, ein wichtiger Aspekt seiner Amerika-First-Strategie: Die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Vereinigten Staaten. Dass er dieses Ziel noch vehementer verfolgen wird, halte ich für wahrscheinlich für seine zweite Amtszeit. Trump wird dabei vermutlich noch schamloser. Was man nämlich mit Sicherheit sagen kann: Es wird kein zweites Impeachment-Verfahren geben. Das hat es noch nie gegeben in der US-amerikanischen Geschichte, dass ein Präsident zweimal „impeacht” wurde. Demnach glaube ich, es ist zu befürchten, dass er schamlos agieren und wie ein „Sonnenkönig” auftreten könnte. Für die Welt und die gesamtwirtschaftliche Lage wäre das mit Sicherheit eine sehr unerfreuliche Situation. Und eine Situation, die eine Menge Geduld erfordert: Zunächst von Investoren in der Realwirtschaft, also Unternehmen, die lange überlegen werden, hier oder dort zu investieren, weil ein solches Szenario viel Unsicherheit kreiert. Unsicherheit ist der Feind von Investitionen, besonders wenn ich als Unternehmer überlege, wo baue ich Fabriken auf, wo baue ich Kapazitäten ab, welche Unternehmen kaufe ich dazu, oder wo baue ich mein Geschäftsfeld aus. Zudem wären auch die Investoren an den Finanzmärkten betroffen, die dann im Grunde nicht wissen können, wie lange die „Zollkriege” anhalten und ob sich das Ganze zu einem riesigen Dämpfer des freien Welthandels auswachsen wird. Denn langfristig würde dies sowohl das Geschäft in den USA als auch in anderen Teile der Welt gehörig schmälern.