Hans Selleslagh (Freedom24): "Europäische Immobilienaktien werden zunehmend attraktiver"
Europäische Immobilienaktien sind wieder aussichtsreich. Das meint zumindest Hans Selleslagh, DACH-Sprecher bei Freedom24.
Trotz der Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juni sind die Bauzinsen immer noch relativ hoch. Bevor wir nach Immobilienaktien fragen: Wie wirkt sich das kurz-, mittel- und langfristig auf den Immobilienmiet- und -kaufmarkt aus?
Die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juni hat bisher nicht zu einem signifikanten Rückgang der Hypothekenzinsen geführt, was verschiedene Auswirkungen auf den Immobilienmarkt hat. Kurzfristig bleiben die Hypothekenzinsen hoch, was potenzielle Käufer, insbesondere junge, vom Markt fernhält und zu einer Verlangsamung bei Wohnungskäufen führt. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Mietwohnungen, da sich viele den Kauf nicht mehr leisten können, was wiederum die Mietpreise in die Höhe treibt, besonders in Regionen mit begrenztem Angebot.
Auf mittlere Sicht könnten jedoch weitere Zinssenkungen der EZB zu einem allmählichen Rückgang der Hypothekenzinsen führen, was das Ausleihen günstiger und den Immobilienmarkt attraktiver machen würde. Diese Veränderung könnte die aufgestaute Nachfrage nach Wohneigentum freisetzen und zu einem Anstieg der Verkäufe führen, insbesondere bei Menschen, die bisher zur Miete wohnten. Langfristig wird erwartet, dass sich die Hypothekenzinsen normalisieren und der Markt sich stabilisiert, was zu einem ausgewogenen Verhältnis von Eigentum und Miete führen könnte. Eine nachhaltige Preisentwicklung, die im Einklang mit steigenden Einkommen und Mietpreisen steht, wird dabei entscheidend sein, um die Erschwinglichkeit und Stabilität des Marktes zu gewährleisten.
Die Zinsen sind sicher ein wesentlicher Punkt. Welche weiteren Faktoren haben die Baubranche in Europa in den vergangenen Jahren beeinflusst?
Die europäische Bauindustrie sieht sich in den letzten Jahren mit mehreren Herausforderungen konfrontiert, die über die Zinssätze hinausgehen. Ein wesentlicher Faktor ist der gravierende Fachkräftemangel, der nahezu alle Länder Europas betrifft. In einigen Regionen berichten 70 bis 90 Prozent der Stakeholder, dass der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ihre Arbeit erheblich beeinträchtigt. Ursachen hierfür sind eine alternde Belegschaft und die Schwierigkeit, junge Menschen für die Branche zu gewinnen. Kurzfristig versucht man, das Problem durch die Einstellung und Ausbildung ungelernter Arbeitskräfte zu lösen, jedoch bedarf es langfristiger Maßnahmen, um die Attraktivität der Bauberufe zu steigern. Ein weiteres Problem sind die stark gestiegenen Materialkosten, bedingt durch Lieferkettenunterbrechungen und globale Handelsspannungen. Diese Entwicklung belastet die Rentabilität der Unternehmen, da höhere Kosten entweder intern absorbiert oder an die Kunden weitergegeben werden müssen.
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Parallel dazu wächst der Druck, nachhaltiger zu bauen. Umweltfragen stehen zunehmend im Fokus, da Gebäude in der EU für einen erheblichen Anteil am Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Initiativen wie die „Renovation Wave“ sollen nachhaltige Baupraktiken fördern. Technologische Fortschritte wie BIM, 3D-Druck und modulares Bauen verändern die Branche ebenfalls, allerdings bleibt die Einführung dieser Innovationen schleppend. Diese Technologien verbessern zwar die Effizienz und Qualität, erfordern jedoch neue digitale Fähigkeiten, die oft fehlen. Schließlich hat sich auch das regulatorische Umfeld verändert, mit einem stärkeren Fokus auf Sicherheit, Nachhaltigkeit und Arbeiterschulung. So haben beispielsweise neue Vorschriften im Vereinigten Königreich zu einer Senkung der Unfallrate beigetragen, aber auch den Verwaltungsaufwand erhöht. Zusammenfassend steht die europäische Bauindustrie vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die einen umfassenden und vielschichtigen Ansatz erfordern, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Die Corona-Pandemie hat neue Arbeitsmodelle befördert – Stichwort: Homeoffice. Durch das Arbeiten von Daheim müssen Arbeitnehmer nicht mehr zwingend in den wirtschaftsstarken Großstädten leben, um einen gutbezahlten Job zu bekommen. Sorgt das nicht auf lange Sicht für eine geringere Nachfrage in den Metropolen?
Das könnte durchaus sein. Die COVID-19-Pandemie hat den Fortschritt von Remote-Arbeit erheblich beschleunigt und damit auch die Standortwahl der Mitarbeiter stark beeinflusst. Diese Verschiebung hat insbesondere die Nachfrage nach Immobilien in Großstädten verändert. Der Trend zum Homeoffice hat dazu geführt, dass viele Mitarbeiter nicht mehr in der Nähe ihrer Arbeitsplätze wohnen müssen, die häufig in wirtschaftlich starken Metropolen liegen. Stattdessen suchen immer mehr Menschen Wohnraum in Vorstadt- oder ländlichen Regionen, die eine bessere Lebensqualität, mehr Platz und geringere Lebenshaltungskosten bieten. Dieser Trend könnte langfristig zu einer Stabilisierung oder sogar einem Rückgang der Immobilienpreise in den Städten führen.
Auch der Markt für gewerbliche Immobilien könnte durch die sinkende Nachfrage nach Büroflächen in Stadtzentren betroffen sein. Es gibt jedoch auch Faktoren, die diesen Rückgang der Nachfrage abmildern könnten. Städte bieten kulturelle, soziale und Lifestyle-Annehmlichkeiten, die schwer zu ersetzen sind, und viele Menschen fühlen sich aus diesen Gründen nach wie vor zu urbanen Gebieten hingezogen. Hybride Arbeitsmodelle, die eine teilweise Anwesenheit im Büro erfordern, könnten die Nachfrage nach städtischem Wohnen aufrechterhalten. Zudem fungieren Städte oft als Zentren für Innovation, Networking und Karrieremöglichkeiten, was ihre Attraktivität auch in Zeiten vermehrter Remote-Arbeit bewahren könnte. Stadtentwicklungsinitiativen und wirtschaftliche Diversifizierung in ländlicheren Regionen könnten ebenfalls Einfluss auf die zukünftige Immobilienlandschaft haben.
Welche großen Trends sehen Sie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf den europäischen Immobilienmarkt zukommen?
Der europäische Immobilienmarkt steht vor signifikanten Veränderungen, die durch technologische Fortschritte, demografische Verschiebungen, Umweltbedenken und sich wandelnde Lebensstilpräferenzen angetrieben werden. Bis 2032 wird ein stetiges Wachstum von durchschnittlich 3,78 Prozent pro Jahr erwartet, was eine nachhaltige Erholung nach der Pandemie signalisiert. Ein zentraler Trend ist der erhöhte Fokus auf Nachhaltigkeit und grünes Bauen, mit einem wachsenden Einsatz von energieeffizienten Technologien und nachhaltigen Baumaterialien. Die Integration von intelligenten Gebäudetechnologien und PropTech revolutioniert zudem die Immobilienbranche, indem sie Prozesse effizienter und transparenter gestaltet.
Auch der Arbeitsplatz wandelt sich, mit einer steigenden Nachfrage nach hybriden und flexiblen Arbeitsumgebungen, was die Nachfrage nach Büroflächen außerhalb der traditionellen Zentren verstärkt. Zudem gewinnen Stadtentwicklungsinitiativen und die adaptive Wiederverwendung bestehender Gebäude an Bedeutung, um den urbanen Raum nachhaltiger zu gestalten. Der demografische Wandel, insbesondere die alternde Bevölkerung und die Präferenzen jüngerer Generationen, beeinflusst ebenfalls die Nachfrage, wobei der Trend zu Vorstadt- und ländlichen Gebieten anhält. Insgesamt wird sich der Markt zunehmend auf Nachhaltigkeit, Flexibilität und Widerstandsfähigkeit ausrichten.
Wie sind alles in allem die Aussichten für europäische Immobilienkonzerne?
Die Aussichten für europäische Immobilienunternehmen in den kommenden Jahren sind vielversprechend, getrieben durch Marktwachstum, veränderte Verbraucherpräferenzen und wachsende Investitionsmöglichkeiten. Das Bevölkerungswachstum und die Urbanisierung führen zu einer steigenden Nachfrage nach Wohnraum und Infrastruktur, besonders in Städten wie Berlin, London und Amsterdam. Technologische Fortschritte wie intelligente Gebäude und digitale Plattformen verbessern das Immobilienmanagement und erleichtern Transaktionen. Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung, da Regulierungen und Verbrauchernachfrage umweltfreundliche Bauweisen fördern.
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Der Markt zieht zudem erhebliche ausländische Direktinvestitionen an, wobei das Vereinigte Königreich, Deutschland und Polen besonders attraktiv sind. Der Wohnungssektor wird voraussichtlich stark wachsen, angetrieben durch knappe Angebote und steigende Mietpreise. Der gewerbliche Sektor zeigt eine gemischte Erholung, während Logistik- und Industrieimmobilien florieren, stehen Büroflächen vor Herausforderungen durch hybride Arbeitsmodelle. Einzelhandel und Gastgewerbe erholen sich ebenfalls, unterstützt durch den wachsenden Tourismus. Trotz positiver Aussichten müssen Unternehmen Herausforderungen wie Zinsvolatilität, geopolitische Spannungen und ein sich änderndes regulatorisches Umfeld bewältigen. Insgesamt bleibt der langfristige Ausblick positiv, mit bedeutendem Potenzial für Kapitalrenditen in diesem dynamischen Markt.
Lohnen sich Immobilienaktien damit wieder?
Europäische Immobilienaktien werden zunehmend attraktiver, da mehrere Faktoren auf eine bevorstehende Markterholung hinweisen. Nachdem die Zinssätze in Europa ihren Höhepunkt erreicht haben könnten, wird erwartet, dass die Europäische Zentralbank 2024 die Leitzinsen senkt, was die Finanzierungskosten für Immobilienunternehmen verringern und die Investitionstätigkeit ankurbeln könnte. Der Immobilienmarkt in Europa wird voraussichtlich ein Investitionswachstum von zehn Prozent im Jahr 2024 verzeichnen, da sich die Marktwerte stabilisieren und Käufer und Verkäufer ihre Preisvorstellungen anpassen. Eine bemerkenswerte Polarisierung zeigt sich zwischen hochwertigen Vermögenswerten, wie Logistikimmobilien, Wohngebäuden und Rechenzentren, und traditionelleren Büroflächen, die möglicherweise weniger gefragt sein werden.
Diese Polarisierung bietet Investoren Chancen, indem sie in unterbewertete, aber stark nachgefragte Segmente investieren. Nachhaltigkeitstrends und die zunehmende Bedeutung von ESG-Kriterien erhöhen zudem den Wert von Immobilien, die diesen Standards entsprechen. Trotz geopolitischer Spannungen und Inflationsdruck bleibt die wirtschaftliche Basis in Europa stabil, unterstützt durch hohe Beschäftigungsraten und Konsumausgaben. Besonders der Logistiksektor profitiert vom E-Commerce-Boom, während Wohnimmobilien aufgrund der Knappheit an städtischem Wohnraum stark nachgefragt sind. Prognosen deuten darauf hin, dass die Gesamtrenditen für europäische Immobilien im Jahr 2024 bei 1,5 Prozent liegen könnten, mit einer stärkeren Erholung in den darauffolgenden Jahren. Insgesamt positionieren sich Immobilieninvestitionen in Europa günstig für eine positive Entwicklung, besonders wenn der Markt beginnt, sich zu stabilisieren.
Wie können ETF-Freunde daran teilhaben?
Für ETF-Anleger, die am europäischen Immobilienmarkt teilnehmen möchten, bieten Immobilien-ETFs eine attraktive Möglichkeit, ohne die Komplexität eines direkten Immobilienbesitzes. Immobilien-ETFs, die an Börsen gehandelt werden, investieren in Real Estate Investment Trusts (REITs), die einkommensgenerierende Immobilien in verschiedenen Sektoren wie Wohn-, Gewerbe- und Industrieimmobilien besitzen, verwalten oder finanzieren. Diese ETFs bieten mehrere Vorteile, unter anderem eine gute Diversifikation, da sie Zugang zu verschiedenen Immobilienmärkten und -sektoren bieten und Liquidität, da sie leicht an Börsen gekauft und verkauft werden können.
Sie ermöglichen auch regelmäßige Einkommensströme durch Dividenden und haben geringere Einstiegskosten als der direkte Immobilienkauf, was sie für eine breitere Anlegerschicht zugänglich macht. Trotz dieser Vorteile sollten Anleger sich der Risiken bewusst sein. Der Wert von Immobilien-ETFs kann je nach Marktbedingungen schwanken, und Immobilieninvestitionen sind empfindlich gegenüber Zinsschwankungen. Auch allgemeine wirtschaftliche Bedingungen wie Inflation und Beschäftigungsniveaus können die Performance von diesen ETFs beeinflussen. Bekannte Immobilien-ETFs, die Anlegern zur Verfügung stehen sind etwa der Vanguard Real Estate ETF (WKN: A0JEHJ), iShares Global REIT ETF (WKN: A14ZG5) oder iShares European Property Yield UCITS ETF (WKN: A2N8FS).