7. Dezember 2022
Christian Preussner (J.P. Morgan): "Wir rechnen mit einem deutlichen Anstieg am US-Aktienmarkt"

Christian Preussner (J.P. Morgan): "Wir rechnen mit einem deutlichen Anstieg am US-Aktienmarkt"

Der US-Aktienmarkt ist natürlich auch für deutsche Anleger immer spannend. Hier erfährst du, was zwei USA-Experten derzeit raten.

Der Jahreswechsel steht unmittelbar bevor. Wir wollten daher von zwei Experten zum US-Aktienmarkt wissen, wie es derzeit im Land der „unbegrenzten“ Möglichkeiten aussieht. Wir haben uns daher mit Christian Preussner, globaler Co-Leiter des Investment Specialists Teams für US-Aktien und Ivan Durdevic, dem ETF-Vertriebslieter für Deutschland, Österreich und der Schweiz getroffen. Beide sind für J.P. Morgan Asset Management tätig.

Herr Preussner, die Demokraten konnten die Mehrheit im Senat behalten. Ist das für die Börsen eine gute Nachricht?

Preussner: Ich würde sagen, dass die politische Entwicklung relativ wenig Einfluss in diesem Fall hat. Für die volkswirtschaftliche Entwicklung ist deutlich wichtiger, was die Federal Reserve noch an Zinserhöhungen durchführen wird. Dann können wir die Folgen für die volkswirtschaftliche Lage besser einschätzen. Unsere Prognose ist, dass wir 2023 bei ungefähr Minus einem Prozent liegen, was das Bruttoinlandsprodukt anbelangt. Die Inflationsrate sehen wir bei vier bis viereinhalb Prozent bis Ende 2023. Und diese wird von der politischen Seite weniger bestimmt als tatsächlich vom amerikanischen Konsumenten. Dementsprechend hat die politische Situation grundsätzlich relativ wenig Einfluss darauf.

Christian Preussner, Managing Director, ist in der US Equity Group von J.P. Morgan Asset Management als globaler Co-Head des Investment Specialists Teams für US-Aktien tätig.
Christian Preussner, Managing Director, ist in der US Equity Group von J.P. Morgan Asset Management als globaler Co-Head des Investment Specialists Teams für US-Aktien tätig.

Die vielleicht wegweisendere Wahl um das Präsidentenamt steht noch an. Da wollen die beiden großen Parteien doch sicher bei den Wählern punkten.

Preussner: Genau. Aber ich glaube, es ist momentan noch zu früh, um eine Aussage treffen zu können. Insbesondere weil wir noch nicht genau wissen, welche Kandidaten antreten und in welcher Verfassung die Volkswirtschaft bis dahin ist. Steuergeschenke kann es nur dann geben, wenn sie auch finanzierbar sind. Und sollten wir in den kommenden Monaten doch eine größere Rezession sehen, dann wäre das schon etwas, was erst noch aufgeholt werden müsste.

Noch eine letzte politische Frage. Sollten sich Anleger eher Demokraten oder Republikaner an der Regierung wünschen?

Preussner: Das kann man so nicht sagen. Im Endeffekt hatten wir sowohl unter demokratischen als auch unter republikanischen Präsidenten schon mal ein gutes Kapitalmarktumfeld,  aber genauso auch ein super negatives erlebt. Also das sagt per se noch nichts aus. Unter Obama zum Beispiel war es positiver als unter Präsident Biden. Beide sind von der gleichen Partei. Doch das aktuelle Umfeld ist nicht ausgelöst durch die Politik, sondern durch volkswirtschaftliche und geopolitische Gegebenheiten, wie beispielsweise den Krieg in der Ukraine oder die steigenden Energiekosten.

Sie sprechen den Ukraine-Krieg an. Dieser ist gerade in Europa noch ein großes Thema, genau wie auch die Inflation. Sind das in den USA auch immer noch bestimmende Themen?

Preussner:  Es sind bestimmende Themen, aber weniger in Bezug auf den Krieg an sich, sondern viel mehr bezüglich der Auswirkungen auf die Konsumenten. Neulich war ich in den USA tanken. Der Spritpreis pro Gallone lag bei fast vier Dollar. Vor einem Jahr waren es noch 2,50 oder 2,60 Dollar. Die Verbraucher merken also auch in Amerika immer stärker den Einfluss der gestiegenen Energiekosten. Allerdings muss man einschränkend dazu sagen, dass die USA auch selbst Energieproduzent sind. Aber nichtsdestotrotz ist dieser Einflussfaktor immer noch relativ groß und hält die Inflationsrate hoch.

Die USA sind auch bekannt dafür, dass sie eine relativ aktive Wirtschaftspolitik betreiben. Was sind da derzeit die wesentlichen Aspekte aus Ihrer Sicht?

Preussner: Das ist aktuell ziemlich in den Hintergrund getreten. Das Infrastrukturprogramm, das Anfang 2022 sehr stark diskutiert wurde, ist sicherlich ein langfristiges Projekt. Momentan liegt der Fokus aber eher darauf, die Inflation zu bekämpfen , denn die ist aktuell schlicht zu hoch. Jetzt noch deutlich mehr Geld in die Wirtschaft hineinzugeben, und dadurch die Liquidität wieder zu erhöhen, wäre in Bezug auf die Inflation kontraproduktiv. Die Arbeitslosenrate ist mit 3,6 Prozent extrem niedrig. Das heißt, es ist kein Beschäftigungsoffensive notwendig, wie wir es beispielsweise nach der Coronakrise gesehen haben. Da musste ein gewisser Anschub der Volkswirtschaft stattfinden. Aber derzeit sind diese Wirtschaftsprogramme etwas in den Hintergrund getreten.

Die Regierung versucht auch sehr stark, die Industrieproduktion zurück holen ins Land. Wie stehen Sie dazu? Läuft das erfolgreich?

Preussner: Absolut. Ich glaube, das Thema der De-Globalisierung ist ein Thema, was immer stärker diskutiert wird. Wenn wir uns mit Unternehmen unterhalten, ist das aber vor allem in ganz spezifischen Sektoren der Fall. Wir haben beispielsweise gesehen, dass einzelne asiatische Chiphersteller Fabriken in den USA aufgebaut haben. Man sollte in dem Zusammenhang aber auch darauf achten, wie die Profitabilität von solchen Unternehmen aussieht.  Denn die Kostenbelastung, sei es in Bezug auf Steuern oder auch Lohnkosten etc, ist deutlich höher in den USA als in Asien. Aber das Thema Globalisierung an sich ist nicht vorbei und ich glaube, es wäre auch tatsächlich gar nicht förderlich, wenn wir zu einer Autokratie zurückkehren würden, in der jedes Land selbst alle Güter und die Services produziert. In den vergangenen 30 Jahren hat die Globalisierung einen wahnsinnigen Wachstumsschub bewirkt.

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Ergeben sich aus dieser Politik nicht Nachteile für Europa?

Preussner: Nein, denn relativ gesehen produziert Europa deutlich mehr als die USA. Die USA sind wiederum deutlich stärker auf der Dienstleistungsseite aufgestellt als Europa. Deswegen würde ich nicht sagen, dass dies per se negativ ist. Viele der Bereiche, in denen wir Globalisierung sehen, sind eher Bereiche, die tatsächlich vorher auch schon stark in den USA vertreten waren. Europa ist etwa nicht wirklich in der Chipindustrie groß vertreten. Wenn, dann ist das eher ein asiatisches Thema. Und häufig sind es tatsächlich auch asiatische Unternehmen, die Produktionskapazitäten in USA aufbauen, um Lieferketten zu verkürzen.

Sind Sie für den US-Markt langfristig positiv gestimmt?

Preussner: In den nächsten zehn bis 15 Jahren rechnen wir am US-Aktienmarkt mit einem deutlichen Anstieg. Das gilt übrigens auch für den Rentenmarkt. Für 2023 glauben wir allerdings, dass wir weniger Impulse für US-Unternehmen sehen werden. Ein Gewinnwachstum von 20 Prozent, wie wir es 2020 oder 2021 gesehen haben, ist im aktuellen Umfeld nicht zu erwarten. Wenn wir aber auf ein mittleres einstelliges Wachstumspotenzial kommen und eine Dividendenrendite von zwei Prozent darauflegen und es womöglich auch auf der KGV-Seite nach oben geht, könnte es durchaus ein ganz interessantes Jahr werden. Insbesondere weil Anleger an den Kapitalmärkten normalerweise volkswirtschaftliche Entwicklungen sechs bis neun Monate vorwegnehmen.

Sollten Privatanleger den US-Aktienmarkt übergewichten?

Preussner: Wir haben für 2023 für einzelne Sektoren und Regionen Präferenzen. Wir haben beispielsweise eine positive Meinung zu US-Large-Caps und wir haben eine positivere Meinung zu Schwellenländern, während Europa weiterhin eher neutral gesehen wird. Das hängt auch damit zusammen, dass Innovationsfähigkeit in den USA größer ist. Treiber in den USA dürften die Sektoren Technologie, Gesundheitswesen, Industriegüter und der Konsumsektor sein.

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Damit kommen wir zur ETF-Anlage, Herr Durdevic. Bei ETFs auf den US-Aktienmarkt mit irischem Domizil oder synthetischer Abbildung winken steuerliche Vorteile. Können Sie das bitte kurz erklären?

Durdevic: Sehr gern. Sofern ein physischer ETF in Irland domiziliert ist, dann hat er in der Tat einen Steuervorteil. Denn dort werden die US-Dividenden mit 15 statt 30 Prozent besteuert. Wäre ein solcher ETF in Deutschland oder Luxemburg beheimatet, wäre der Steuersatz also doppelt so hoch.

Ivan Durdevic, Executive Director, ist als Head of ETF Distribution/Leiter des ETF-Vertriebs für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei J.P. Morgan Asset Management tätig.
Ivan Durdevic, Executive Director, ist als Head of ETF Distribution/Leiter des ETF-Vertriebs für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei J.P. Morgan Asset Management tätig.

Haben Sie entsprechende ETFs auf den US-Aktienmarkt?

Durdevic: Absolut, wir haben alle unsere UCITS-ETFs in Irland domiziliert. Dort genießen unsere aktiven ETFs die gleichen steuerlichen Vorteile wie auch unsere passiven physischen ETFs, die in Irland aufgelegt sind. Das heißt, sie unterliegen nur der 15-prozentigen Quellensteuer auf US Dividenden.

Immer mehr Anleger achten auf das Thema Nachhaltigkeit. Sehen Sie hier aktive ETFs im Vorteil?

Durdevic: Wir sehen die aktiven Strategien beim Thema Nachhaltigkeit im Vorteil, weil unser Konzept auf drei Säulen beruht. Säule eins bilden Ausschlüsse. Danach folgt die ESG-Integration, die bei aktiven Strategien wesentlich selektiver erfolgen kann. Wir überprüfen die Unternehmen mittels eines Fragebogens, der40 Fragen aus den verschiedenen ESG-Bereichen umfasst. Wer unseren Anforderungen nicht genügt, dem zeigen wir die rote Flagge. Und schlussendlich kommt noch der dritte Aspekt hinzu: das Thema Engagement. Wir suchen aktiv den Dialog zu den Unternehmen, weisen auf Missstände hin und versuchen Veränderungen voranzutreiben. Das können passive Produkte so nicht leisten.

Und zum Schluss noch eine allgemeine Frage: Wie sehen Sie die Börsen 2023, Herr Preussner?

Preussner: In der jüngeren Vergangenheit haben wir gesehen, dass Kapitalmärkte im deutlich zweistelligen Bereich negativ waren. Momentan scheint sich die Situation zu normalisieren. Für 2023 erwarten wir ein Gewinnwachstum zwischen zwei und drei Prozent. Wenn wir hier – wie vorhin erwähnt – noch die Dividende draufschlagen, halte ich eine mittlere einstellige Rendite für realistisch. Es sei denn, es würde sich in der Volkswirtschaft oder der globalen Wirtschaft wirklich etwas gravierend ändern.