Neo-Broker: Rettung der Börsenkultur oder Verführung zum Zocken?
Neo-Broker bringen viele Aktienmuffel an die Börse. Kritiker monieren jedoch, die Broker würden Anfänger zum Zocken animieren. Zwei Experten im Schlagabtausch!
Bei der Wahl des richtigen Brokers achten Anleger zu Recht auf niedrige Gebühren und kostenlose ETF-Sparpläne. Denn schließlich sollen nicht unnötige Gebühren den Anlageerfolg trüben. Wer bisher über teure Depotführungs- und Transaktionsgebühren stöhnte, wechselte meist von seiner angestammten Filialbank zur einer kostengünstigen Direktbank. Zwar hatte man dann keine Beratung mehr vor Ort, doch das stört den mündigen ETF Anleger meist kaum.
Doch jetzt geht der Wechsel zum günstigen Broker in die zweite Runde. Die heute großen Direktbanken sind in Sachen Kosten längst nicht mehr das Maß aller Dinge. Die neuen Direktbanken hören auf den Namen „Neo-Broker“. Sie sind dank Digitalisierung noch wesentlich schlanker aufgestellt. Der Handel erfolgt so beispielsweise für einen Euro oder sogar komplett kostenfrei. Das Angebot ist dafür etwas eingeschränkt, aber immer noch groß genug, um sämtliche Anlegerbedürfnisse zu befriedigen. Die neuen Herausforderer wissen zu überzeugen.
So belegten bei unserem Broker-Vergleich (Ausgabe 12.2020 / 01.2021) etliche Neo-Broker vordere Plätze. Nicht selten hört man von Seiten der jungen Broker, sie würden den Handel mit Wertpapieren wie ETFs demokratisieren. Gemeint ist, Wertpapiere einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gerade in Deutschland – einem Land der konservativen Sparer – scheint dies eine ehrbare Bemühung zu sein, die der Börsenkultur auf die Sprünge hilft. Doch Kritiker monieren, unbedarfte Anleger würden zum Zocken animiert. Die Geldanlage werde zu einer Art Spiel, bei der die Vernunft schnell abschalte.
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So in etwa lautet die Ausgangssituation unserer Kontrahenten zur Fragestellung: „Sind Neo-Broker für Privatanleger sinnvoll?“
Wir beginnen mit der Pro-Seite. Diese verkörpert in Person von Thomas Soltau der Berliner Neo-Broker Smartbroker. Soltau ist Geschäftsführer von Wallstreet Online Capital und damit auch des Smartbrokers. Er erklärt, wie Neo- Broker die Geldanlage „demokratisieren“ und für breite Bevölkerungsschichten zugänglich machen.
Ihm gegenüber steht Marc Oliver Rieger, Professor für Bank und Finanzwirtschaft an der Universität Trier. Rieger sieht das Konzept von Neo-Brokern aus Verbrauchersicht kritisch. Der Börsenhandel verkomme zum Handy-Spiel, so Rieger.
Wir haben beiden die Möglichkeit eingeräumt, die wesentlichen Aspekte zum Für und Wider von Neo-Brokern darzulegen. Bilden Sie sich selbst Ihre Meinung und lesen Sie beide Kommentare auf den folgenden Seiten durch.
Pro Neo-Broker: Neo-Broker demokratisieren die Geldanlage – von Thomas Soltau (Smartbroker)
Neo-Broker haben den Zugang zum Kapitalmarkt stark vereinfacht und damit einer neuen Generation von Anlegern die Schwellenangst genommen. Dies muss als ganz großes Verdienst dieser Anbieter gewertet werden.
Aktien? Fonds? ETFs? Lange waren Wertpapiere eher etwas für Wohlhabende mit Börsenwissen und -erfahrung. Inzwischen hat sich die Finanzwelt allerdings komplett gewandelt, denn die Neo-Broker haben ihren Siegeszug angetreten. Mit smarten Bedienoberflächen, mobilen Apps und einer schlanken Kostenstruktur ist es diesen Start-ups gelungen, ganz neue Zielgruppen für die Börse zu begeistern. Intuitive Interfaces gepaart mit nahezu kostenfreiem Handel haben wesentliche Hürden bei der Geldanlage aus dem Weg geräumt. Kurz gesagt: Neo-Broker haben die Kapitalanlage nicht nur modernisiert, sondern ganz vehement auch demokratisiert – jeder, der sich engagieren möchte, erhält fast schon spielerisch Zugang zum Börsenparkett. Insofern muss der Einfluss der Neo-Broker auf die Börsenkultur eindeutig positiv bewertet werden. Schließlich wird seit langem beklagt, dass sich die Menschen zu wenig um ihre finanzielle Vorsorge kümmern und das Geld aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsen auf dem Sparbuch förmlich dahinschmilzt.
Interesse an Finanzbildung wecken
Doch bei allem Enthusiasmus und dem enormen Zulauf, den diese Anbieter erfahren, sollten auch die Risiken nicht vernachlässigt werden. Vielen Börseneinsteigern fehlt schlicht die Erfahrung, dass die Märkte eben nicht immer nach oben gehen. Selbst der Corona-Crash im vergangenen Frühjahr führte an den Börsen ohne größere Nachwehen geradewegs in die nächste Erfolgswelle. Doch es gibt keine Gewinn-Garantie. Als in den 2000er Jahren der große Börsen-Hype platzte und scheinbar sichere „Volksaktien“ zu Fall kamen, verbrannten sich viele Anleger die Finger und zogen sich enttäuscht zurück. Damit die derzeit so begeisterten Neu- Anleger nicht durch – für die Börse typische – Rücksetzer verprellt werden, kommt den Neo-Brokern, aber auch allen anderen Marktteilnehmern, eine gewisse Aufklärungspflicht zu. Denn vielfach mangelt es an Grundwissen. Beispiel: Bei den Trades spielt für viele der Preis einer Aktie die entscheidende Rolle. Doch sind 100 Euro teuer oder günstig? Hier muss man verstehen, dass der Stückpreis nicht viel aussagt, sondern erst die Summe aller Aktien multipliziert mit dem Wert der einzelnen Aktie den Firmenwert ergibt.
Auch wissen viele Neuanleger nicht, warum es einen Unterschied machen kann, ob man eine Aktie am Handelsplatz X oder Y handelt – sicher auch dadurch getrieben, dass die meisten Neo-Broker nur einen oder maximal zwei Handelsplätze anbieten.
Für den Wissensaustausch kommen auch Finanz-Communitys infrage. Allerdings haben die jüngsten Exzesse um Gamestop & Co. gezeigt, dass man sich hier nicht unbedacht mitreißen lassen sollte: Für den überwiegenden Teil der Wallstreet-Bets-User war die Wette gegen die Hedgefonds vermutlich ein Verlustgeschäft. Ein wesentlicher Vorzug der Neo-Broker sind unbestritten die im Vergleich zu klassischen Banken sehr viel günstigeren Konditionen. Diese verhelfen dem Kunden zu mehr Rendite und infolge der geringen Ordergebühren zu mehr Flexibilität. Die Hauptaufgabe dieser Unternehmen besteht meines Erachtens aber vor allem darin, Interesse am Investieren und am Thema finanzielle Bildung zu wecken – sei es, um für den nächsten Urlaub zu sparen oder den Lebensstandard im Alter zu sichern.
Contra Neo-Broker: Neo-Broker dienen oft nur als teures Handy-Spiel – von Prof. Marc-Oliver Rieger (Uni Trier)
„Gamification“ ist „in“: Unangenehmes wird angenehm. Warum also nicht die für viele unangenehme Geldanlage in eine schicke App verpacken, die zum Spielen an der Börse einlädt? Klingt gut, ist aber leider keine gute Idee.
Es stimmt ja: Die Deutschen sind Aktienmuffel. Sparbuch, Lebensversicherung und Haus – mehr fällt den meisten beim Thema „Geld anlegen“ nicht ein. Da ist doch jede Innovation zu begrüßen, die ein paar Leute dazu bringt, endlich an der Börse aktiv zu werden. Neo-Broker erreichen genau das: Sie sind ein niederschwelliges Angebot für die Generation Smartphone und erlauben es, mit kleinem Geld mit dabei zu sein. Doch wenn man genauer hinschaut, verfliegt die Euphorie: Es geht Neo-Brokern nicht darum, Leute zu langfristigen Aktienanlagen zu bringen. Der Gewinn kommt von den Trades: Denn auch, wenn Neo-Broker mit geringen oder gar keinen Gebühren Werbung machen, zahlt der Anleger indirekt: Bei jedem Trade erhält der Neo-Broker eine Provision vom Handelsplatz, und dieser kann dafür den Kauf- bzw. Verkaufspreis entsprechend anpassen. Neo-Broker machen mit jedem Trade Gewinn. Logisch, dass sie Anleger gerne dazu verführen, kurzfristig anzulegen. Der spielerisch einfache Kauf- und Verkaufsprozess ähnelt einem Handy-Spiel – so etwas wie Candy Crush an der Börse. Das macht Spaß. Nur: Mit ständigem Traden, das haben unzählige Studien gezeigt, häuft Otto-Normal-Anleger am Ende keine Gewinne, sondern nur satte Kosten an.
Noch schlimmer: Viele Neo-Broker motivieren Anleger dazu, gleich einen Schritt weiter zu gehen, und ihr Glück mit Finanzderivaten zu versuchen. Damit zu spekulieren, ist aber für Privatanleger im Schnitt noch verlustreicher. Dazu gibt es umfangreiche wissenschaftliche Studien. Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass es ja auch Ausnahmen gibt. Sicher fällt einem ein Anleger ein, der genau den richtigen Riecher hatte und am Ende viel Geld gemacht hat. Aber auf den einen erfolgreichen Anleger kommen leider viele, die Geld verlieren, irgendwann entnervt aufgeben und von denen man dann nicht unbedingt etwas hört.
Bärendienst für Anleger
Haben sich die Verluste einmal angehäuft, werden die meisten wohl das Handtuch werfen und der Börse wieder den Rücken kehren. Am Ende erzeugt der neue Trend eine Vielzahl desillusionierter Ex-Anleger, die Aktien als sicheren Weg, Geld zu verlieren, erfahren haben. Damit erweisen Neo-Broker der Aufgabe, mehr Leute zu Aktienanlagen zu verhelfen, einen Bärendienst. Klar, man kann die smarten Apps auch für vernünftige, langfristige Anlagen verwenden. Der Vorteil hält sich dann aber in Grenzen. Nur wer sehr wenig Geld anlegen möchte, profitiert auch bei langfristiger Geldanlage wirklich von den geringeren Gebühren. Ansonsten kann man mit jedem normalen Online-Broker bequem am Computer einen ETF kaufen, einmal ein paar Euro Gebühren zahlen – und dann auf die langfristigen Kurssteigerungen warten.
Der Vorteil der Neo-Broker ist ja die schnelle Verfügbarkeit für den „Trade zwischendurch“, aber genau solche Trades braucht man eben nicht für eine vernünftige, langfristige Anlagestrategie. Besser für Einsteiger sind Robo- Advisors: Die können für eine langfristige, passgenaue und kostengünstige Anlage sorgen und auch regelmäßiges Ansparen ermöglichen. Das ist zwar weniger cool, aber am Ende besser für den Kontostand. Und für das Daddeln zwischendurch gibt es ja richtige Handyspiele – ohne großes Risiko für das Ersparte.
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