Gelingt China der Schwenk zu nachhaltigem Wachstum?
Im globalen Wachstumswettbewerb hat China seine Rolle als Lokomotive verloren. Kann die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt den Weg in eine nachhaltige Zukunft einschlagen?
Seit dem Beginn der Wirtschaftsreformen und der Öffnung der Märkte im Jahr 1978 hat China eine lange Periode außergewöhnlichen Wachstums erlebt. Aber nach rund 10,5 Prozent pro Jahr in den 1990er und 2000er Jahren, verlangsamte sich das durchschnittliche Wachstum auf acht Prozent im Zeitraum 2010 bis 2015, um dann auf 6,6 Prozent in den vier Jahren vor der Corona-Pandemie zu sinken.
Die Probleme in China
China hat in den vergangenen Jahren immer wieder betont, dass die Wirtschaft sich in der Zeit nach den Pandemie-Restriktionen dauerhaft erholen wird, aber die exportgetriebene Wirtschaft hat zu sehr unter der zurückgehenden globalen Nachfrage, dem kriselnden Immobilienmarkt und dem schwachen Binnenkonsum gelitten. Verstärkt wurden diese Probleme durch:
- eine alternde Bevölkerung und eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung
- abnehmende Rendite des investierten Kapitals
- langsame Produktivitätssteigerungen nach den ersten Reformen zur Marktliberalisierung
Aktuell scheint der Endpunkt dieser Entwicklung erreicht. Es ist für die globale Wirtschaft eine entscheidende Frage, ob China es schafft – trotz der Verlangsamung – in die nächste nachhaltige Wachstumsphase einzutreten. Dafür muss Peking jedoch die Schmerzen des Übergangs abmildern und die Reformen wiederbeleben, dringend Schulden abbauen und die Wirtschaft auf Innovation ausrichten.
Tipp: Lies dir gleich unser Interview mit Elliot Hentov (State Street Global Advisors) zum Thema „Das Wachstumsmodell in China hat Probleme“ durch. |
Produktivität ist der Schlüssel
Die Stellung Chinas im globalen Vergleich ist bei Innovationen nach wie vor sehr gut. Das Land ist in vielen Bereichen Vorreiter und hat die weltweit am häufigsten zitierten Forscherinnen und Forscher, die meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Patentanteile.
Die entscheidende Frage ist, ob China diesen Aufwärtstrend angesichts des intensiven strategischen Wettbewerbs auf der ganzen Welt aufrechterhalten kann, vor allem weil der Westen der nationalen Sicherheit Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumt und eine Strategie der Risikominderung verfolgt. Eine Abkopplung könnte sich über die Produktivität und in geringerem Maße über den Kapitaleinsatz auf das chinesische Wachstum auswirken, da sich die ausländischen Direktinvestitionen zurückziehen. Trotzdem wird China aller Voraussicht nach sein Tempo bei der technologischen Entwicklung beibehalten können; gestützt durch seine Führungsrolle in mehreren wichtigen Technologiesektoren sowie durch die Konzentration der Regierung auf die Grundlagenforschung und die Halbleiterindustrie. Es wird jedoch oft übersehen, dass technologischer Fortschritt nicht automatisch zu Produktivitätssteigerungen führt. Dafür sind Strukturreformen und institutionelle Veränderungen, die die richtigen Anreize setzen, unerlässlich.
Technologievorsprung weiter ausbauen
In der weltweiten Wertschöpfungskette sollte China seine Schwerpunkte in den Bereichen saubere Energie, Künstliche Intelligenz (KI), Halbleiter, Elektrofahrzeuge und Digitalisierung setzen. Die folgenden Beispiele unterstreichen die Entwicklung und Innovationskraft Chinas: Bereits 2018 machten Chinas Investitionen in KI mehr als die Hälfte der weltweiten Gesamtinvestitionen in diesem Bereich aus. Obwohl die USA weiterhin führend bei der Entwicklung von Chips für KI-Systeme sind, ist China führend bei KI-Anwendungen wie Sprach- und Bilderkennung.
Tipp: Hier findest du eine Übersicht zu sämtlichen Themen-ETFs. |
China ist zudem auf dem besten Weg, bei der industriellen Automatisierung und Robotik weltweit führend zu werden, und ist bereits jetzt der größte Markt für Industrieroboter. 2022 sind mehr als 50 Prozent der weltweit neu installierten Industrieroboter auf China entfallen.
Bei sauberer Energie war China in den vergangenen zehn Jahren der weltweit größte Investor und ist heute der größte Hersteller von Solarzellen, Windturbinen und Batterien für Elektrofahrzeuge. Das Land verfügt über fast drei Viertel der weltweiten Produktionskapazitäten für Lithium-Ionen-Batteriezellen. Die Exportstärke wird bei diesen Produkten nicht zurückgehen, auch wenn der US Inflation Reduction Act und der europäische Green Deal darauf abzielen, neue Energieversorgungsketten zu lokalisieren und die Abhängigkeit von China zu verringern. Angesichts der Dringlichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, und angesichts der überlegenen Kostenbasis und des Technologievorsprungs, wird China seine starke Führungsposition in dieser Schlüsselindustrie wahrscheinlich beibehalten und weiter ausbauen.
Energiewende als weiterer Baustein für erfolgreichen Übergang
Die Neuausrichtung des Wachstums wird auch die Energiewende beschleunigen. China strebt an, bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden, also zehn Jahre später als die EU oder die USA, ist aber weltweit führend bei Investitionen sowie Forschung und Entwicklung im Bereich der Energiewende. Im Jahr 2022 hat das Land mit 546 Milliarden US-Dollar fast die Hälfte der weltweiten Ausgaben in die Energiewende investiert, darunter in Solar- und Windenergie, Elektrofahrzeuge und Batterien. Die heimische Industrie erhält starke staatliche Unterstützung, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und die Elektrifizierung voranzutreiben.
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Trotz der Vielzahl der Herausforderungen und der teils düsteren Prognosen wird China nach der Einschätzung von Amundi in den kommenden Jahren eine durchschnittliche Wachstumsrate von drei Prozent beibehalten. Zudem bietet der Wandel hin zu einem nachhaltigeren Wachstumsmodell langfristige Chancen für chinesische Vermögenswerte.
Über die Autorin Alessia Berardi
Alessia Berardi, Head of Emerging Macro Strategy, Amundi Investment Institute