Unvollständige Erholung in Großbritannien nach dem dreifachen Schock
Brexit, Inflation und Corona – in Großbritannien war die wirtschaftliche Lage schon einmal entspannter. Wie sieht es auf der Insel gegenwärtig aus?
Die britische Wirtschaft wurde in den vergangenen zwei Jahren nicht nur durch die Corona-Pandemie und die globalen Lieferengpässen getroffen. Gleichzeitig wurde mit dem Austritt aus der EU per 31. Januar 2020 sowie dem Verlassen des EU-Binnenmarktes und der Zollunion am 31. Dezember 2020 der Brexit vollendet. Eine der gravierendsten direkten Folgen ist der bis heute andauernde massive Mangel an ausländischen Arbeitskräften, bspw. im Transportsektor. So befindet sich die Anzahl der unbesetzten Stellen derzeit auf einem Rekordniveau.
Großbritannien: Änderungen zum Jahreswechsel
Mit dem Jahreswechsel liefen nun einige bisher noch geltende Übergangsregeln aus, bspw. für die Einfuhr von Lebensmitteln aus der EU. Andere für die Wirtschaft relevante Aspekte sind weiterhin offen und verkomplizieren die Lage für Unternehmen. So zum Beispiel die konkrete Umsetzung des Nordirland-Protokolls, durch den eine harte innerirische Grenze mit Warenkontrollen vermieden werden soll.
Mächtiger Wirtschaftseinbruch
Der Einbruch der britischen Wirtschaft im Krisenjahr 2020 fiel mit 9,7 Prozent bereits stärker aus als in den meisten EU-Staaten. Nach Angaben des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) betrug der Rückstand des britischen BIPs zum Niveau von Ende 2019 im dritten Quartal noch etwa zwei Prozent – trotz eines mit 6,9 Prozent voraussichtlich überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstums im Jahr 2021. Der Außenhandel mit Deutschland sank bereits seit dem Brexit-Referendum 2016 kontinuierlich.
Während im Jahr 2015 noch Waren im Gegenwert von 89 Milliarden Euro von Deutschland nach Großbritannien exportiert wurden, sanken die Exporte bis auf 79 Milliarden Euro im Jahr 2019 sowie – coronabedingt verstärkt – auf 67 Milliarden Euro in 2020. Die Importe aus dem Königreich nahmen ebenfalls ab – wenngleich weniger stark. Diese Negativtendenz setzte sich im letzten Jahr fort. So wurden im November nur noch Waren im Gegenwert von 6,1 Milliarden Euro (4,9 Prozent weniger als im Vorjahresmonat) exportiert, während das Importvolumen um 7,9 Prozent auf nur noch 2,9 Milliarden Euro abnahm.
Hohe Inflation
Zuletzt kamen mit rasant steigenden Corona-Neufallzahlen sowie der ersten Leitzinsanhebung der Bank of England aufgrund der auf über fünf Prozent angestiegenen Inflationsrate weitere Belastungsfaktoren hinzu. Zwar dürfte auch die britische Wirtschaft von der erwarteten sukzessiven Auflösung der Lieferkettenprobleme und der Corona-Belastungen im Laufe der kommenden Monate profitieren, trotzdem bleiben mit der notwendigen Neuausrichtung des Außenhandels nach dem Brexit und dem vielfach unklaren Verhältnis zur EU außergewöhnliche Unsicherheitsfaktoren bestehen. Für die weiteren Perspektiven der Wirtschaft wird die Vereinbarung eines – von britischer Seite besonders ersehnten – Freihandelsabkommens mit den USA wichtig sein. Dieses ist bisher aber noch nicht in Sicht. Folglich wäre es im besonderen Sinne der EU und Deutschlands, ein weiterhin möglichst gutes politisches Verhältnis und enge wirtschaftliche Verbindungen zum Königreich zu haben.
Über den Autor: Carsten Mumm
Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel.
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