
Pierre Debru: "Quantencomputing stellt einen revolutionären Sprung in der Rechenleistung dar"
Der Nobelpreis ging an Quanten-Forscher. Pierre Debru, Leiter Research für Europa bei Wisdomtree, über die Chancen von Quantencomputing.
Quantencomputing ist derzeit ein großes Thema. Jüngst haben drei Wissenschaftler den Physik-Nobelpreis für ihre Quanten-Forschung erhalten. Wofür haben sie für Laien erklärt diesen Preis bekommen?
Der diesjährige Preis ging an drei Wissenschaftler: Professor John Clarke, Professor Michel H. Devoret und Professor John M. Martinis. Ihre Arbeit zeigt, dass Quantenphänomene wie der Quantentunnel-Effekt nicht nur in der subatomaren Welt existieren, sondern auch in Systemen so groß wie ein Chip. Die gemeinsame Arbeit der Nobelpreisträger hat den Grundstein für eine neue, transformative Ära in der Quantentechnologie gelegt, die Bereiche wie Quantencomputer, Quantenkryptographie und Quantensensorik umfasst. Der Nobelpreis 2025 folgt auf eine kürzlich erfolgte Auszeichnung für eine andere Entdeckung: Der Nobelpreis 2022 bestätigte die Existenz der Quantenverschränkung, eines der Grundprinzipien der Quantenwissenschaft und des Quantencomputings.
Was hat man sich unter Quanten-Technik generell vorzustellen?
Quantencomputing stellt einen revolutionären Sprung in der Rechenleistung dar, da es einen grundlegend neuen Ansatz zur Informationsverarbeitung nutzt. Durch die Anwendung der Prinzipien der Quantenmechanik und den Einsatz von Qubits (Quantenbits) können Quantencomputer enorme Datenmengen gleichzeitig analysieren und Problemlösungen in Geschwindigkeiten und Dimensionen ermöglichen, die für klassische Maschinen unvorstellbar sind.
Was könnte sich dadurch für uns als Nutzer und Anwender ändern?
Dieser Paradigmenwechsel ermöglicht Durchbrüche, die weit über die Möglichkeiten traditioneller Computer hinausgehen. Er birgt das Potenzial, eine Vielzahl von Branchen zu beeinflussen – von der Beschleunigung der Medikamentenentwicklung und der Modellierung komplexer Systeme wie Klimamuster, Molekülstrukturen und Finanzmärkte mit beispielloser Präzision bis hin zur Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz und Cybersicherheit.
Daraus ergeben sich möglicherweise auch Chancen für Anleger. Welche Bereiche scheinen in diesem Zusammenhang aussichtsreich?
Das Versprechen, dass Quantencomputing zuvor aufgrund ihrer enormen Komplexität unlösbare Probleme lösen kann, ist nirgendwo bedeutsamer als bei den großen Herausforderungen, denen die Menschheit heute gegenübersteht. Von der Heilung von Krankheiten bis zur Eindämmung des Klimawandels sind viele unserer dringendsten Probleme im Kern rechnerischer Natur.
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Nehmen wir die Medikamentenentwicklung. Die Entwicklung eines neuen Medikaments kann mehr als ein Jahrzehnt dauern und Milliarden von Dollar kosten. Das liegt hauptsächlich daran, dass die präzise Simulation der Wechselwirkungen potenzieller Wirkstoffe mit biologischen Systemen von klassischen Computern nicht geleistet werden kann. Quantencomputing hat das Potenzial, dies zu verändern. Durch die Modellierung des molekularen Verhaltens mit beispielloser Genauigkeit könnten fehlertolerante Quantensysteme die Suche nach neuen Behandlungen drastisch beschleunigen, die Entwicklungskosten senken und sogar Therapien für bisher unheilbare Krankheiten ermöglichen. Laut einer aktuellen Veröffentlichung des National Quantum Computing Centre (NQCC), dem nationalen Labor für Quantencomputing im Vereinigten Königreich, haben Forscher bereits mehr als 40 potenzielle Anwendungsfälle im Gesundheitswesen identifiziert – von der Medikamentenentwicklung über Diagnostik und Früherkennung bis hin zu personalisierter Medizin und sogar der effizienten Ressourcenzuweisung innerhalb von Gesundheitssystemen.
Ein weiteres Feld, in dem Quantencomputing einen transformativen Wandel bewirken könnte, ist die Reduzierung des CO₂-Fußabdrucks der Menschheit. Dies erfordert Durchbrüche in der Materialwissenschaft, von der Entwicklung von Batterien der nächsten Generation für Elektrofahrzeuge bis hin zu effizienteren Katalysatoren für die CO₂-Abscheidung und -Speicherung. Quantencomputer sollten aufgrund ihrer Konzeption für derartige Aufgaben besonders geeignet sein. Durch die hochpräzise Simulation chemischer Reaktionen könnten sie die Entdeckung nachhaltiger Materialien beschleunigen, effizientere Technologien für erneuerbare Energien ermöglichen und letztlich komplexe Klimamodelle verbessern, die als Grundlage für globale politische Entscheidungen dienen.
Könnte Quantengeld den Bitcoin ersetzen?
In jüngerer Zeit sind Diskussionen über das Konzept des Quanten-Geldes aufgekommen – eine theoretische Form digitaler Währung, die durch die Prinzipien der Quantenmechanik gesichert wäre. Jede Geldeinheit oder jedes Token würde dabei einen einzigartigen Quantenzustand besitzen, der weder kopiert noch gefälscht werden kann.
Theoretisch könnte dies das sogenannte Double-Spending-Problem verhindern, ohne dass dafür eine Blockchain oder ein Konsensmechanismus nötig wäre. Allerdings löst Quanten-Geld nicht automatisch das Problem der Dezentralisierung. Die meisten bisherigen Konzepte beruhen auf einer zentralen Ausgabestelle oder Prüfinstanz und ähneln damit eher einer quantenbasierten Zentralbank-Digitalwährung (CBDC) als einem Peer-to-Peer-System wie Bitcoin.
Eine dezentrale Version ist zwar nicht unmöglich, aber die quantenbasierte Infrastruktur, die für die sichere Erstellung, Speicherung und Übertragung solcher Vermögenswerte erforderlich ist, existiert noch nicht.
Kurz gesagt: Es handelt sich um eine faszinierende, aber bislang rein theoretische Idee. Eine praktikable Form von Quanten-Währung, die mit dem offenen und vertrauenslosen Modell von Bitcoin konkurrieren könnte, liegt noch viele Jahre in der Zukunft.
Sicherlich werden sich nicht alle Unternehmen in diesem Sektor durchsetzen. Wie sollten interessierte Anleger daher vorgehen?
Das Vertrauen der Investoren in Quantencomputing wächst zunehmend, da entscheidende Meilensteine die Branche nachhaltig verändern. Googles Willow-Prozessor sowie dessen Demonstration der Quantenüberlegenheit und die Fortschritte bei der Fehlerkorrektur, wie schnell sich die Technologie entwickelt. Die kürzlich aktualisierte Roadmaps von IBM und IonQ stellen überzeugende Fortschritte auf dem Weg zu skalierbaren, unternehmensgerechten Systemen dar.
Obwohl sich Quantencomputing so dynamisch weiterentwickelt, müssen noch einige Hürden überwunden werden, bevor eine großflächige kommerzielle Nutzung umsetzbar ist. Quantenrauschen und Dekohärenz bleiben die zentralen Hindernisse für die Skalierung. Deren Überwindung wird bedeutende technische Durchbrüche sowie kontinuierliche Investitionen erfordern. Diese Kombination aus technischem Anspruch und schneller Innovation verdeutlicht sowohl die Risiken kurzfristiger Unsicherheiten als auch das Potenzial für überdurchschnittliche Renditen, sobald skalierbare Lösungen verfügbar werden. Eine diversifizierte Strategie, die auf Expertenwissen setzt, könnte ein attraktiver Ansatz sein, um vom gesamten Ökosystem zu profitieren. Dadurch könnte sich das Risiko durch die Auswahl einzelner Aktien reduzieren und gleichzeitig Wachstumschancen entlang der Reifephase der Technologie erschlossen werden.