ESG: Nachhaltigkeit ein unbedingtes Muss im Depot?
Legst du nachhaltig an oder lehnst du das eher ab? Sollte ein Depot mit Nachhaltigkeits-ETFs gespickt sein? Viel Vergnügen mit unserem ESG-Schlagabtausch!
Für manche Anleger ist das eine Glaubensfrage. Diesmal fragen wir uns also: Ist Nachhaltigkeit ein Muss im Depot? Thomas Brummer meint: Ja, zumindest die ESG-Variante ist für jeden drin. Timo Baudzus hält dagegen. Er befürwortet Nachhaltigkeit, sieht sie aber nicht als Muss bei der Geldanlage.
Wieso ist nachhaltiges Anlegen überhaupt ein so großes Thema geworden? Nun, die Ressourcen unseres Planeten sind endlich. Möglicherweise stehen wir vor einem Paradigmenwechsel von der Wegwerfgesellschaft zum nachhaltig denkenden Gemeinwohl. Das Thema Nachhaltigkeit rückt zunehmend in das Bewusstsein der Bürger. Ein sparsames Auto ist für viele Bundesbürger mittlerweile genauso wichtig wie Öko-Strom, Mülltrennung oder das Fair-Trade-Siegel auf der Lebensmittelverpackung. Beschleuniger dieser Entwicklung gab es neben der längst bekannten Klimaerwärmung in den vergangenen Jahren zur Genüge. Zu nennen sind hier etwa der VW-Abgasskandal im Jahr 2015, das Deepwater-Horizon-Unglück im April 2010 im Golf von Mexiko und natürlich auch die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011. Im Anschluss an die Ereignisse in Japan hatte die Bundesregierung die Energiewende ausgerufen. Jüngst sorgten auch Bilder von auslaufendem Gas in der Ostsee für Aufsehen.
Unter den veränderten Voraussetzungen von Globalisierung, Demografie, Klimawandel und begrenzten Ressourcen in Kombination mit einer erhöhten Sensibilität für umweltschonendes Handeln wird die reine Ökonomie durch Aspekte der Ökologie ergänzt. Klassische Industriezweige werden durch neue, nachhaltige ersetzt.
Das muss aber nicht ängstigen, denn es ist nicht neu. Das gab es immer wieder in der gut 200-jährigen modernen Wirtschaftsgeschichte. Bereits 1942 sprach der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter von der „Kraft der schöpferischen Zerstörung“. Gemeint ist: Industriezweige kommen und gehen. Die Veränderung ist also nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall.
Nachhaltigkeit ist weit mehr als nur Umweltschutz
Natürlich denkt man bei Nachhaltigkeit in erster Linie an die Umwelt. Doch bei den allermeisten nachhaltigen ETFs geht es um weit mehr. Neben dem Umweltschutz spielen auch soziale Aspekte sowie eine moralische Unternehmenspolitik eine Rolle.
Nachhaltigkeit vs. Diversifikation
Wer nachhaltig anlegen möchte, kann nicht den kompletten Mutter-Index übernehmen. Und ja, je strenger dann der Ausschluss stattfindet, desto weniger bleibt am Ende im ETF übrig. Somit bewegen wir uns hier immer in einem Spannungsfeld zwischen dem Bestreben nach nachhaltiger Anlage bei gleichzeitiger breiter Streuung.
Du merkst schon: Bei der nachhaltigen Geldanlage gibt es keine in steingemeißelten Antworten. Daher haben wir uns diesmal dieses Themas angenommen. Für die nachhaltige Geldanlage, wenn auch in abgeschwächter Variante, spricht sich Redakteur Thomas Brummer aus, der auch sein ESG-Portfolio kurz vorstellt.
Redakteurskollege Timo Baudzus sieht nachhaltige ETFs nicht als Muss an. In seinem Contra-Kommentar legt er die wesentlichen Argumente zu seiner Sichtweise dar.
Wie stehst du zu dem Thema?
Schreibe uns deine Meinung unter redaktion@extraETF.com. Wir freuen uns auf deine Argumente. Und nun viel Vergnügen mit unserem Schlagabtausch! Wir beginnen mit der Pro-Seite.
Pro: Es spricht nichts gegen die ESG-Anlage mit ETFs
Rendite und nachhaltiges Denken schließen sich nicht aus. Zumal Politik und Gesellschaft letzteres immer lauter einfordern. Ein tolles Paket bestehend aus breiter Streuung und dennoch nachhaltiger Ausrichtung bilden ESG-ETFs. Jeder kann sich ein solches Depot basteln.
Erst kürzlich habe ich es wieder getan: Ich bin in ein Flugzeug eingestiegen und habe es keine Sekunde bereut, denn ich wurde belohnt mit einem tollen Urlaub in Montenegro. Flugscham ist für mich ein Fremdwort und ich gehe auch nicht freitags auf die Straße und trage dabei ein Klimaschutzplakat. Dennoch weiß ich natürlich: Es gibt keinen zweiten Planeten, auf dem wir leben könnten.
Gar nichts tun erscheint mir aus Anlegersicht also nicht die Lösung zu sein. Doch wie gut, dass es ESG-ETFs gibt. Für Nachhaltigkeitsfanatiker reicht das bei weitem nicht aus, denn etwa bei einem MSCI-World-ETF werden in der ESG-Variante nur etwa 25 Prozent der Titel aus- geschlossen. Das Kürzel „ESG“ steht für Environment, Social und Governance. Das bedeutet also eine Geldanlage im Einklang mit der Umwelt, dem sozialen Gefüge sowie einer maßvollen Unternehmensführung.
Schränke ich mich mit ESG sehr ein?
Klare Antwort: Nein. Diese Sorgen musst du nicht haben. Als alter ETF-Fan weiß ich natürlich: Der Charme von ETFs liegt in der breiten Streuung. Und die ist bei ESG-ETFs gegeben. Ich schließe die größten „Sünder“ aus, habe aber kaum Renditeabweichungen zum Mutter-ETF.
Übrigens musste ich bisher keine Renditeeinbußen hinnehmen. Vergleiche etwa einen konventionelle MSCI-World-ETF mit einem entsprechenden ESG-ETF, so wirst du sehen, dass die Verläufe nahezu identisch sind. Ich könnte mir vorstellen, dass in Zukunft langfristig sogar kleine Überrenditen möglich sein werden. Denn Politik und Gesellschaft werden bei diesem Thema immer sensibler. Welches Unternehmen möchte hier schon ausscheren? Gerade Großanleger achten immer mehr auf ihre Reputation.
So sieht mein ESG-Depot aus
Um dir zu zeigen, wie breit ein ESG- Depot gefächert ist, gebe ich dir einen Einblick in mein Weltportfolio: Mit einem Anteil von 50 Prozent bildet der iShares MSCI World ESG Screened UCITS ETF (Acc) (WKN: A2N6TD) die Basis. Alle Top-Player des herkömmlichen MSCI World sind hier auch vertreten. Darüber komme ich auf 1.429 aus den führenden Industrieländern.
Der zweite ETF konzentriert sich ebenfalls auf die hoch entwickelten Staaten, allerdings auf die relativ kleinen Aktiengesellschaften. Die Idee dahinter: Kleinere Unternehmen sind riskanter und werfen langfristig höhere Renditen ab. Das gilt natürlich nicht für jedes einzelne Unternehmen, aber in der Gesamtheit ist das Phänomen messbar. Hierbei fiel meine Wahl auf den iShares MSCI World Small Cap ESG Enhanced UCITS ETF (WKN: A3C14G). Darin enthalten sind 1.994 mit geringerem Börsenwert. Depotanteil: 20 Prozent.
Die restlichen 30 Prozent entfallen auf den iShares MSCI EM IMI ESG Screened UCITS ETF (Acc) (WKN: A2N6TH). Hierüber investiere ich in 2.320 Unternehmen aus Schwellenländern. Insgesamt komme ich also auf 5.743 Unternehmen aus sämtlichen relevanten Aktienmärkten.
Tipp: Hier erfährst du alles, was du über das Investieren in Nachhaltigkeits-ETFs wissen musst. |
ESG kann jeder machen
Ich denke, dieser Einblick sollte genügen, um zu zeigen, dass ESG jeder machen kann. Ob du 5.743, 6.512 oder 7.264 Titel im Depot hast, wird am Ende in Sachen Diversifikation keine Rolle spielen, zumal die Unternehmen ohnehin nach Größe gewichtet sind. Jeder kann also zumindest ein ESG-Depot führen, auch das ist schon etwas nachhaltiger. Wer allerdings einen Schritt weiter gehen möchte, wählt SRI-ETFs.
Contra: Ich investiere nachhaltig. Aber nicht, weil ich muss!
Nun findest du mich auf der Contra-Seite zum Thema Nachhaltigkeit im Depot wieder. Wahrscheinlich komme ich dir vor wie ein absoluter ESG-Gegner. Das bin ich jedoch mitnichten, im Gegenteil. Ich habe in den vergangenen Jahren ein zunehmendes Bewusstsein für den nachhaltigen und umsichtigen Umgang mit Ressourcen aufgebaut und versuche dies auch bestmöglich in meinem Alltagsleben umzusetzen. Schließlich geht es darum, unseren Kindern und Enkeln einen einigermaßen gesunden, lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Das ist mir ein wichtiges Anliegen, hinter dem ich voll und ganz stehe.
Messbarer Impact
Wie mein Kollege Thomas bereits ausgeführt hat, gibt es mittlerweile etliche ESG- und SRI-Produkte. Insbesondere die SRI-Variante ist unter vielen Anlegerinnen und Anlegern ein beliebtes Produkt – und das zu Recht! Zwar enthalten SRI-ETFs auf den MSCI World oftmals nur noch 500 bis 600 Werte anstatt 1.500 wie der Mutter-Index, doch dafür sind nur noch diejenigen Unternehmen mit den besten ESG-Scores in diesen ETFs zu finden. Wer es noch ein bisschen nachhaltiger möchte, kann auch PAB-Produkte kaufen. Dabei handelt es sich um ETFs, die einen messbaren Impact anstreben bei der Reduktion von Treibhausgasen. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch das Thema Kreislaufwirtschaft. Dabei handelt es sich um eine Form des Wirtschaftens, in der ein möglichst schonender Verbrauch von Ressourcen angestrebt wird. Mit dem BNP PARIBAS EASY ECPI Circular Economy Leaders (WKN: A2PHCA) können Anleger in Firmen investieren, die einen positiven Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften anstreben.
Wasserstoff und Wallbox
Dennoch habe ich selbst bislang in keine ETFs mit ESG- oder SRI-Label investiert. Das liegt jedoch nicht an einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung. Ich bin zum Beispiel mit der Einzelaktie Wallbox (WKN: A3C4US) in ein Unter- nehmen investiert, das einem nachhaltigen Geschäftszweck folgt. Es handelt sich um einen Anbieter von intelligenten Lade- und Energiemanagementlösungen für Elektrofahrzeuge. Auch bin ich mit dem L&G Hydrogen Economy UCITS ETF (WKN: A2QMAL) in einem Themenfeld investiert, das in den kommenden Jahren einen Beitrag zur umweltschonenden Energieerzeugung leisten wird. Der ETF genügt den Anforderungen des Artikels 9 der Offenlegungsverordnung. Somit handelt es sich offiziell um ein nachhaltiges Anlageprodukt. Warum ich noch keinen SRI-ETF gekauft habe – das wäre das Mittel meiner Wahl –, kann ich nicht valide begründen. Meine Freundin zum Beispiel ist in einen SRI-ETF auf den MSCI World investiert. Sie hatte mich explizit darum gebeten, sie bei der Auswahl zu unterstützen, was ich gerne gemacht habe.
Put your money where …
Trotzdem würde ich mir nicht anmaßen, Nachhaltigkeit als ein Muss für jedes Depot auszurufen. Ich selbst setze dies ja lediglich in Grundzügen um. „Put your money where your mouth is“, heißt es in den USA – und diesen Spruch beherzige ich. Denn ich spreche bedeutend öfter von Technologie als von Nachhaltigkeit, wenn es ums Investieren geht. Und selbst falls ich irgendwann einmal eine 100-Prozent-Quote in puncto Nachhaltigkeit hätte, würde ich anderen trotzdem keine Vorschriften machen. Denn Dogmen – egal in welchem Bereich – sind meiner Erfahrung nach immer kontraproduktiv. Und das gilt selbstverständlich auch für die Geldanlage!
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