5. April 2022
Nachhaltige Geldanlage: Ist Atomkraft plötzlich grün?

Nachhaltige Geldanlage: Ist Atomkraft plötzlich grün?

Nachhaltigkeit und Klimaschutz waren bestimmende Themen der letzten Jahre – auch bei der Geldanlage. Und der Slogan „Atomkraft? Nein Danke!“ stammt sogar schon aus den Siebzigern. Der Krieg in der Ukraine scheint nun aber den Blickwinkel zu verschieben.

Was waren das friedliche Zeiten, als die EU ihre Vorschläge unterbreitete, welche Geldanlagen als nachhaltig zu betrachten sind. Die Empörung war groß, dass Atomkraft und Gas mit aufgenommen wurden. Und heute? Hat sich das Papier genau wie die aufgeregte Diskussion darüber in Teilen schon überholt, weil plötzlich andere Themen an Bedeutung gewonnen haben.

Atomkraft wird wieder Thema

Es ist ein wichtiges Ziel unserer Zeit, den Planeten vor dem Klimakollaps zu retten. Diesem Ziel dient der Green Deal der EU genauso wie die beschlossene Taxonomie. Diese soll dazu führen, dass privates Kapital vor allem in die Wirtschaftsbereiche fließt, die als gesellschaftlich erwünscht angesehen werden. Interessanterweise steht mit dem möglichen Stopp der Gaslieferungen aus Russland Atomkraft wieder ganz oben auf die Agenda erwünschter Energiequellen.

Die von Deutschland so dringend gewünschten Gaskraftwerke dagegen werden ohne den notwendigen Brennstoff nicht als Brückentechnologie dienen können. Die Diskussion darüber, ob Atomkraft und Gas in eine Nachhaltigkeitsstrategie gehören, wird jetzt unter anderen Voraussetzungen geführt. Ja, erneuerbare Energien sollten so schnell wie möglich ausgebaut werden. Ja, Wasserstoff ist ein optimales Speichermedium für grünen Strom. Ja, Atomkraft – seien es auch kleine, dezentrale Reaktoren – gehören wieder in den Energiemix der Europäer. Aus Versorgungssicht spricht vieles dafür, die ungeliebten Energiequellen Atom und Gas in der Taxonomie zu belassen.

Grüne und soziale Taxonomie

Ein anderes Thema wird jetzt dazukommen: Neben der grünen Taxonomie wird eine soziale Taxonomie entwickelt. Dort werden gesellschaftlich erwünschte oder eben nicht erwünschte Wirtschaftsbereiche definiert. Jetzt dreht sich die Diskussion um die Rüstungsindustrie.

Ist diese jetzt angesichts deutlich steigender Ausgaben und einer höheren Wertschätzung für die wehrhafte Demokratie erwünscht oder unerwünscht? Die Prioritäten verändern sich, die Taxonomien greifen dabei ineinander. Was hilft es uns, wenn wir alle Anstrengungen unternehmen, die Erde zu retten, wenn ein Mitspieler sagt: Ist mir egal, ich will nur ein größeres Stück vom Planeten? Rüstung statt Klimaschutz? So weit sind wir noch lange nicht und werden hoffentlich nie dahin kommen, hier eine Entscheidung treffen zu müssen.

Tipp: Hier erfährst du alles, was du über das Investieren in Nachhaltigkeits-ETFs wissen musst.

Anleger im Wechselbad der Gefühle

Aber in der Abwägung des Ressourceneinsatzes verschieben sich die Gewichte. Es fließt mehr Geld in die Rüstung, mehr in regenerative Energiequellen, vielleicht auch wieder mehr in Atomkraft. Für Anlegerinnen und Anleger bedeutet das ein Wechselbad der Gefühle, bei dem letztlich jeder Einzelne selbst entscheiden muss, welchen Weg er verfolgt. Ideologischer Rigorismus jedenfalls ist in der Geldanlage eher unangebracht, Pragmatismus trifft es besser.

Über den Autor: Uwe Zimmer

Uwe Zimmer ist Finanzexperte aus Köln