13. Juni 2022
Investitionsmarkt China – Zukunft oder großes Risiko?

Investitionsmarkt China – Zukunft oder großes Risiko?

Seit bald drei Jahrzehnten ist China als Paradies für Investoren das Land der aufgehenden Sonne. Stetige Wachstumsraten – teilweise zweistellig – und ein geringes Lohn-Preis-Verhältnis haben das Land zur gern beschriebenen Werkbank des Westens werden lassen.

Schon oft sind es wirtschaftliche Interessen gewesen, die nationale Schwierigkeiten in den jeweiligen Zielländern hintenangestellt haben. So konnte China mit einer geschickten Joint Venture Politik Werte westlicher Firmen in seinem Land aufbauen sowie Markenrechte und Produktionsketten importieren und gleichermaßen vereinnahmen.

Ein nicht unerheblicher Teil des westlichen Wirtschaftswachstums der zurückliegenden Jahrzehnte basiert auch auf dieser Technologie- und Wissensmigration. Dies gab der chinesischen Regierung die Möglichkeit, eine inzwischen hochentwickelte Wirtschaft aufzubauen, die es ohne das Joint Venture System nicht gegeben hätte.

Aufstieg zur führenden Wirtschaftsmacht

Mittlerweile ist China zum zweitstärksten Produktionsstandort weltweit nach den USA geworden. Spätestens seitdem in Deutschland vor ca. zehn Jahren die einst weltweit führende Solarmodultechnologie durch chinesische Billigware ersetzt wurde, ist hierzulande deutlich geworden, dass China nicht immer nur Partnerland, sondern vor allem die führende Weltwirtschaft werden will. Die USA sehen inzwischen mehr und mehr eine Bedrohung der weltweiten, bis dato vom Westen dominierten Wirtschaftsordnung.

Die enorme Abhängigkeit der deutschen Exportindustrie vom chinesischen Markt sind den USA ohnehin ein Dorn im Auge. US-Präsident Joe Biden übt daher wachsenden Druck auf die Europäischen Union aus, sich gegenüber Peking politisch zu positionieren. Dies hätte jedoch deutliche Konsequenzen für das deutsche China-Geschäft. In dieser politischen Diskussion ist unschwer zu erkennen, dass aus dem chinesischen Expansionismus ein Kulturkampf geworden ist.

Erheblicher Einfluss der Regierung

Es wird ein großes Risiko sichtbar, das auf in China getätigten Investitionen ruht: Die Gefahr politisch motivierter Handelseinschränkungen seitens gegenseitiger Embargos wie Zölle und Einfuhrbeschränkungen. Doch ein weiteres Risiko ist im vergangenen Jahr deutlich geworden. In Zeiten des Neoliberalismus sind wir im Westen spätesten seit den 80er Jahren von den Regelmechanismen eines effizienten Marktes geprägt. Dazu gehören auch Markttransparenz und die Debatten um Wirtschaftsregularien im Vorfeld einer politischen Entscheidung, wie wir sie gerade in einer sich im Energiewandel befindlichen Welt erleben können.

In China hat die Regierung einen viel stärkeren Einfluss auf die Kapitalmärkte. Immer wieder greift sie in diese ein. Dort können Entscheidungen wie zum Beispiel Handelsbeschränkungen einzelner Unternehmen ohne Vorankündigung durchgesetzt werden, was ein erhebliches Risiko für Anleger bedeuten kann. 2021 gab es in China eine große Regulatorikwelle mit dem Ziel, Transparenz bei Unternehmen wie z.B. Alibaba und Tencent zu erzeugen. Das führte zu massiven Abverkäufen der Aktien.

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Fehlende Transparenz am Markt

Aktuell steht das Unternehmen Alibaba unter Druck, nachdem China den Konzern zu Strafzahlungen in Milliardenhöhe verurteilte und die Börsenaufsicht SEC in den Vereinigten Staaten mehr Transparenz chinesischer Unternehmen einforderte. Solche Szenarien beschränken sich nicht nur auf Alibaba, sondern sind Zeichen eines Konfliktes, in dem die USA von chinesischen Unternehmen eine Transparenz nach westlichen Standards fordern.

Vielen Investoren erscheint der chinesische Markt weiterhin intransparent und zu unübersichtlich. Überschattet von den Konflikten mit den USA war besonders 2021 ein Jahr, in dem die politischen Risiken bis in die Depots eines jeden, der Alibaba, Tencent und Co. hielt, durch Kursstürze erfahrbar wurden. Seitdem wird genau beobachtet, wie der Transparenzstreit zwischen China und den USA, der zu einem Delisting der in Form von ADRs gehandelten chinesischen Titel an US-Börsen führen kann, ausgeht. Solange es hier keine Einigung gibt, bleibt der chinesische Markt eher für Investoren interessant, die direkt an den Präsenzbörsen Shanghai die in US-Dollar gehandelten H-Aktien oder die in Hong-Kong Dollar an der Börse Shenzhen gehandelten H-Aktien erwerben wollen.

Dies dürften zumeist institutionelle Anleger wie Fondsgesellschaften oder Pensionskassen sein. Ein weiteres belastendes Thema ist die Zero-Covid Strategie von Xi Jinping, der auf seine Wiederwahl im Herbst hofft und von der restriktiven Strategie bis dahin nicht abrücken wird. Bei allen Risiken wird leicht übersehen, dass China einen sich weiterhin stark entwickelnden Binnenmarkt hat. Grundsätzlich ist in China eine große Innovationskraft zu erkennen, in vielen Bereichen der Digitalisierung ist China bereits Vorreiter.

Europa nicht aus dem Blick verlieren

Auch die Modernisierung der Infrastruktur kommt gut voran. Vorausgesetzt der Transparenzstreit mit den USA wird beigelegt, macht langfristig nur die Entwicklung der Altersstruktur Sorgen. Die langjährige Ein-Kind Politik führt dazu, dass ca. 22 Prozent der Chinesen im Jahr 2035 über 65 Jahre alt sein werden; diese Kurve geht exponentiell weiter nach oben. Als Alternative oder zusätzliche Investitionsmöglichkeit bieten sich auch andere Regionen in Asien an, die wachsen und eine bessere Altersstruktur aufweisen wie zum Beispiel Vietnam.

Man sollte allerdings auch good old Europe wieder genauer betrachten. Der Ukrainekonflikt, die Lieferkettenproblematik und natürlich Corona haben auch in der europäischen Unternehmenslandschaft Spuren hinterlassen, die auf der anderen Seite neue Investitionschancen bietet. Beflügelt wird der sich dabei entwickelnde Trend dadurch, dass Produktionsstätten nicht mehr nur dort aufgebaut werden, wo es am billigsten ist.

Die Nachhaltigkeitsdebatte löst inzwischen Handlungen aus, die Unternehmen den Blick auf den Wirtschaftsstandort im eigenen Land öffnen. Das macht Europa auf mittlere Sicht als Investitionsstandort attraktiver als es noch in Zeiten ungehemmter Auslagerung von Produktion nach Fernost gewesen ist. Und das ist ein gutes Signal, welches unmittelbar mit den Risiken chinesischer Wirtschaftspolitik und deren Friktionen auf internationaler Ebene zusammenhängt.

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Über den Autor: Henning Kirsch

Henning Kirsch ist Senior Berater Wealth Management, Hansen&Heinrich AG in Frankfurt/ Main