Ist mehr Demut vor der Makroökonomie nötig?
Weiche oder harte Landung? Die Märkte werden sich in den kommenden Monaten viel mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. An der Makroökonomie führt kein Weg vorbei.
„Dabei sollten die makroökonomischen Zusammenhänge wieder stärker ins Bewusstsein treten“, sagt Benjamin Bente, Geschäftsführer der Vates Invest GmbH. „Die Märkte bauen durch die immensen Unterschiede zwischen den konjunkturellen Indikatoren und der Reaktion der Börsen eine gewaltige Fallhöhe auf.“ Wer sich darauf verlässt, dass dieses Mal alles anders sein wird als in den Jahrzehnten zuvor, pokert womöglich zu hoch.
Makroökonomie nicht vergessen
Auf die Pressekonferenz nach der Fed-Sitzung reagierten die Märkte verschnupft. Dabei hatte die US-Notenbank eigentlich wenig Neues gesagt. „Dies zeigt, dass die Nervosität zunimmt und das Thema Soft versus Hard Landing die Märkte in den kommenden Wochen und Monaten immer mehr beschäftigen wird“, sagt Bente. Bislang setzen sich die Märkte mit ihrer sehr positiven Entwicklung von den eigentlich negativen bis sehr negativen konjunkturellen Vorlaufindikationen ab. „Hier hat sich eine große Lücke aufgetan“, sagt Bente. „Und immer, wenn so eine große Lücke zwischen Aktienmarkt und fundamentaler Realität vorhanden ist, kommen die ‚Dieses-Mal-ist-alles-anders-Erklärer‘ aus ihren Löchern.“
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So auch dieses Mal: Die Zinsstrukturkurve sei nicht mehr so tauglich in der Vorhersage einer Rezession, schrieb zum Beispiel unlängst eine namhafte US-Investmentbank. „Dieses-Mal-ist-alles-anders ist keine kluge Vorgehensweise“, mahnt Bente. „Am Ende des Tages hat sich bislang immer gezeigt, dass die Märkte früher oder später zur fundamentalen Realität zurückgekehrt sind.“ Das vorschnelle über Bord werfen empirisch erprobter und logisch sinnvoller fundamentaler, makroökonomischer Zusammenhänge sollte nur in tiefer Demut geschehen – wenn überhaupt. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Aktienmärkte mit ihrem Abkoppeln von der konjunkturellen Entwicklung nur eine immer höhere Fallhöhe aufbauen. „Das gilt, solange sich die konjunkturellen Probleme nicht nachhaltig zum Positiven auflösen“, so Bente. „Das aber ist momentan nicht erkennbar, im Gegenteil.“
Makroökonomie der USA unter der Lupe
Trotzdem fühlen sich die Propheten des Soft Landing immer wieder bestätigt. „Und das vor allem durch den US-Arbeitsmarkt“, sagt Bente. Denn der zentrale Punkt, der zur Rezession fehlt, ist der spürbare Anstieg der Arbeitslosenrate. Ein solcher ist in den USA derzeit nicht zu erkennen. Doch das ist zu oberflächlich geschaut. Unter der Motorhaube haben sich im Datenwust zwei Indikatoren gemeldet: „Zum einen entwickelt sich gerade die Arbeitslosigkeit in Kalifornien, einem sehr bedeutenden Bundesstaat, deutlich negativer als in den gesamten USA“, sagt Bente. „Dies ist auch deswegen nicht unerheblich, weil es ja gerade die dort angesiedelten Tech-Unternehmen waren, die den Aktienmarkt in diesem Jahr so vorteilhaft oben gehalten haben.“ Möglicherweise ist dies ein Warnzeichen.
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„Aber vielleicht noch interessanter sind die Erstanträge auf Arbeitslosengeld, die USA-weit noch nicht so auffällig sind, vor allen Dingen nicht in ihrer Aufwärtsdynamik“, so Bente. „Diese steigen aktuell deutlich im Staat Pennsylvania, einer der zentralen Staaten des Rust Belt, also des industriellen Herzens der USA.“ Hier ist zu sehen, dass sich die bereits anhand negativer Einkaufsmanagerindizes manifestierten Probleme im produzierenden Gewerbe bereits in den Arbeitsmarkt hineinfressen. In der Vergangenheit war das produzierende Gewerbe ein guter Vorlaufindikator für die konjunkturelle Entwicklung als Ganzes, die Entwicklung liefert also ein weiteres Warnzeichen.
Fallhöhe ist hoch
Festzustellen ist also, dass die Fallhöhe des Aktienmarktes angesichts der konjunkturellen Vorlaufindikatoren hoch ist. „Es ist deswegen ratsam, mal ein paar Chips vom Tisch zu nehmen, und dort, wo man mit offensiven Investments unterwegs ist, Gewinne mitzunehmen“, sagt Bente. „Defensive, rezessionstaugliche Investments mit sehr aktivem Risikomanagement sind derzeit das Investment der Wahl, denn das Chance-Risiko-Verhältnis spricht immer mehr gegen die Aktienmärkte.“