Kurs verdoppelt! Warum ich vom erfolgreichsten ETF des Jahres die Finger lasse
Während ETFs auf die großen Indizes wie MSCI World, S&P 500 oder auch der DAX in diesem Jahr eher für wenig Freude gesorgt haben, hat sich ein ETF kontinuierlich positiv entwickelt – und über 100 Prozent an Wert gewonnen. Kaufen würde ich ihn trotzdem nicht.
Klar, in einem schwierigen Jahr wie 2022 denken Anlegerinnen und Anleger vielleicht schneller mal an den Kauf eines ETFs, den sie normalerweise links liegen lassen würden, wenn dieser besonders gut performt. Doch wie immer lohnt sich auch im Fall des erfolgreichsten ETFs des Jahres, dem Lyxor MSCI Turkey UCITS ETF (WKN: LYX02F) ein zweiter Blick.
Top-ETF des laufenden Jahres
Zugegebenermaßen – als ich den ETF auf Platz 1 der Top-ETF-Liste des laufenden Jahres auf extraETF gesehen habe, war ich überrascht. Dass ausgerechnet die Türkei gerade für Investoren so spannend ist, scheint angesichts der Lage nicht unbedingt die rationalste Wahl zu sein.
Doch auch ein Blick auf Platz 2 und 3 verrät – das kann kein Zufall sein, denn auch hier finden sich Türkei-ETFs, nämlich der iShares MSCI Turkey UCITS ETF (WKN: A0LEW5) und der HSBC MSCI Turkey UCITS ETF (WKN: A1H436). Da sich alle drei auf denselben Index beziehen – den MSCI Turkey NR USD – fällt die Performance auch ähnlich aus. Über 100 Prozent gab es im laufenden Jahr bei keinem anderen ETF! Auf Platz 4 folgt der iShares S&P 500 Energy Sector UCITS ETF (WKN: A142NX) mit immer noch stolzen +75,54 Prozent – doch die Türkei-ETFs sind einsame Spitze. Woran liegt’s?
Türkische Anleger sichern sich ab
Experten sehen vor allem zwei Gründe: Zum einen sichern in diesem Jahr viele türkische Staatsbürger mittels ETFs ihre Ersparnisse ab. Die Türkei hat 2022 Inflationsraten von bis zu 85,5 Prozent im Oktober gesehen – das war der höchste Stand seit 24 Jahren. Die Landeswährung, die türkische Lira, ist außerdem stark im Wert gefallen, laut der Tagesschau waren es im vergangenen Jahr 44 Prozent gegenüber dem US-Dollar, in diesem Jahr kamen weitere 30 Prozent Verlust hinzu. Und so haben viele Menschen ihr Geld in ETFs gesteckt – offenbar in ihren Heimatmarkt.
Einen weiteren Grund sehen Experten in Kapitalzuflüssen aus Russland. Aufgrund der Sanktionen des Westens scheinen reiche Oligarchen Kapital in die Türkei umzuschichten. Denn die Türkei hat sich diesen Sanktionen nicht angeschlossen und ist somit für Russland zum attraktiven Anlegermarkt geworden – auch was Immobilien angeht.
Viele Unsicherheiten
Ein Investment in einen Türkei-ETF wäre für mich dennoch keine Option. Nicht nur, weil es noch immer massive Diskussionen um das Thema Menschenrechte im Land gibt und Meinungs- und Pressefreiheit stark eingeschränkt sind, was für mich lange vor ESG und SRI ein Ausschlusskriterium ist. Auch traue ich dieser Performance nicht. Es ist schwer vorhersehbar, was die türkische Regierung (in Sachen Zinsen) unternimmt – lange hat Erdogan trotz der hohen Inflation den Leitzins immer weiter gesenkt, nun hat er angekündigt, vorerst keine weiteren Zinsschritte zu gehen. Ob er sich daran hält, wird sich zeigen.
Dass die offiziellen Inflationsdaten korrekt sind, wird außerdem etwa von der Opposition und auch von unabhängigen Experten bezweifelt. Möglicherweise ist die Inflation viel höher. Für Russland scheint die Türkei derzeit eine Art „Notlösung“ zu sein – doch wie sieht das in einigen Monaten oder Jahren aus? Die Stimmung könnte schnell wieder drehen. Das sind Unsicherheitsfaktoren, über die ich mir bei meinen Investments eigentlich keine zusätzlichen Gedanken machen möchte.
Durch die schwache Währung sind Konversionsverluste von Lira zu Euro außerdem unumgänglich. Türkei-ETFs sind aus meiner Sicht hoch volatil – deshalb landen sie trotz ihrer hohen Wertsteigerung auch weiterhin nicht in meinem Depot.
Autor Katja Brauchle
Katja Brauchle ist eine erfahrene Online-Redakteurin mit einem Schwerpunkt auf Finanzthemen. Nach zwei Jahren Festanstellung bei extraETF ist sie nun nebenberuflich als freie Redakteurin tätig. Sie arbeitet derzeit als Content Strategy Managerin bei der Augsburger Allgemeinen.
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