Die deutsche Aktienkultur: Ein Aufstieg mit Hindernissen?
Die Deutschen und der Aktienmarkt – die längste Zeit war das keine große Liebesgeschichte. Wie steht es um die Aktienkultur im Jahr 2023?
Die vergangenen zwei Jahre waren für Anlegerinnen und Anleger eine einzige Berg- und Talfahrt. Corona, der Ukrainekrieg und die Inflation machten auch vor den Börsen nicht halt. In Ländern mit einer stärkeren Aktienkultur konnten viele Anlegerinnen und Anleger gut damit umgehen – doch wie ist die Situation in Deutschland? Haben sich private Investoren hierzulande vom Börsenchaos beeindrucken lassen?
Positive Grundstimmung Aktien gegenüber
Auskunft darüber gibt der Deutsche Geldanlage-Index DIVAX-GA. Und dieser zeigt: Die Deutschen stehen der aktienbasierten Geldanlage grundsätzlich positiv gegenüber. Der Index liegt generell zwischen minus und plus 100 Punkten und steht derzeit bei 29,5 Punkten – einem ähnlichen Wert wie im Vorjahr. Erstellt wird er mittels einer Umfrage unter 2.000 Menschen.
Aber: Im Vergleich zu den Vorjahren zeigt sich eine Stagnation. Vor dem Winter 2021/22 stieg der Index rasant in die Höhe – viele Deutsche haben in den vergangenen Jahren einen Zugang zum Aktienmarkt gefunden, nicht zuletzt, weil ETFs vom Nischenprodukt zu einer sehr beliebten privaten Altersvorsorge avanciert sind.
Inflation bremst die Aktienkultur aus
Dieser positive Trend scheint aktuell ausgebremst. Fragt man Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer nach den Gründen für die derzeitige Zurückhaltung, zeigt sich klar: Es fehlt an finanziellen Mitteln. Im Sommer 2020 gaben 34,5 Prozent an, wegen Geldmangels nicht zu investieren. Bei der jüngsten Befragung waren es bereits 42,5 Prozent. Eine schwierige finanzielle Situation wiegt somit schwerer als etwa die Angst vor Verlusten (38,2 Prozent) oder die Scheu vor den Risiken einer Aktienanlage (34,5 Prozent).
Die Gründe scheinen auf der Hand zu liegen: Die hohe Inflation der letzten Monate, die immer weiter steigenden Energiekosten – geht es ums Essentielle, rückt die Geldanlage zunächst in den Hintergrund. Die Befragten gehen in großen Teilen nicht davon aus, dass sich an dieser Situation zeitnah etwas ändert. 32,9 Prozent gehen davon aus, dass die Inflation bestenfalls leicht sinken wird. 28,3 Prozent glauben, sie bleibt unverändert hoch, während 27,9 Prozent sogar erwarten, dass die Inflation weiter steigt. „Entscheidend für die weitere Entwicklung der Börsen dürften in diesem Kontext die Zinsen sein. Stärkere positive Impulse für die Aktienkurse sind erst dann wieder zu erwarten, wenn die Zentralbanken erste Zinsschritte nach unten ankündigen. Viele warten auf dieses Einstiegsszenario und sind deshalb aktuell noch zurückhaltend“, sagt Prof. Dr. Michael Heuser, Wissenschaftlicher Direktor des DIVA.
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Doch kein Trend? Nachhaltige Geldanlage
Unwichtig scheint für viele Anlegerinnen und Anleger noch immer ein vermeintliches Trendthema: 60,6 Prozent der Befragten gaben an, bei der Geldanlage nicht auf Nachhaltigkeit zu achten. Gründe hierfür sind vor allem fehlende Transparenz und klare Regelungen seitens der Politik. Dazu sagt Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des Vermittlerverbands VOTUM: „Die Politik ist gefordert. Berater können sich nicht zu Botschaftern für Investitionen in nachhaltige Projekte machen, wenn es aufgrund unklarer Regelungen noch viele Unsicherheiten gibt. Derzeit müssen wir erleben, dass sich Emittenten und Berater wegen des Damoklesschwertes des „Green-Washing“-Vorwurfs zurückhalten und die weitere Entwicklung beobachten. Die nicht aufeinander abgestimmte EU-Gesetzgebung hat für die Berater Haftungsfallen geschaffen, die verhindern, dass sie zu überzeugten ESG-Botschaftern werden. Ohne widerspruchsfreie Vorgaben aus der Politik haben weder die Berater noch unsere Kunden die notwendige Klarheit, um Vertrauen aufzubauen beziehungsweise zu gewinnen.“