14. März 2024

Wie TV-Macher jetzt düstere Zukunftsvisionen wagen

BERLIN (dpa-AFX) - Krimis gehen immer. Und auch Heimatfilm-artige Produktionen gelten als Geheimwaffen des deutschen Fernsehens. Gewagt erscheint im deutschen TV-Markt dagegen alles, was davon abweicht und zum Beispiel Genres wie Horror, Fantasy oder Science-Fiction zuzuordnen ist. Nun laufen in diesem Frühling jedoch gleich zwei aufwendige Produktionen, die Near-Future-Szenarien zum Thema haben.

Bei Sky (und dem Streamingdienst Wow) startet die siebenteilige, dystopische Dramaserie "Helgoland 513" (ab 15.3.), die im Jahr 2039 spielt. Und im Ersten ist bald die vierte Staffel der Medizinserie "Charité" zu sehen, deren sechs Folgen 2049 angesiedelt sind (ARD-Mediathek ab 5.4.; TV ab 9.4.).

"Das Genre "Near Future" konzentriert sich darauf, Zukunftsszenarien aufzuzeigen und ihre Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft durchzuspielen", sagt die Politikwissenschaftlerin Isabella Hermann, die das Buch "Science-Fiction zur Einführung" herausgebracht hat. Das hinterfrage die Gegenwart und rege zum Nachdenken an. "Aktuelle Herausforderungen werden meist ins Negative extrapoliert, etwa Entmenschlichung durch fortschreitende Technik oder die Gefährdung von Demokratie und Freiheit durch Populismus", sagt Hermann. Das biete Raum für mitreißende Dramaturgien und Storys.

Im Fall von "Charité" produzierte die Firma Ufa Fiction im Auftrag von ARD Degeto, Arte und MDR, gedreht wurde viel im sonnigen Portugal.

"Medizingeschichte der Zukunft schreiben, geht das überhaupt? Das müssen am Ende natürlich wieder die Zuschauerinnen und Zuschauer entscheiden", lässt sich der ARD-Koordinator Fiktion, Jörg Schönenborn, im zugehörigen Presseheft zitieren. Doch die Staffel sei mit viel Sorgfalt recherchiert und packe Erkenntnisse von heute über Chancen und Herausforderungen der Medizin von morgen in eine plausible Erzählung. "Diese Zeitreise in eine Welt, in der uns manche Frage begegnet, die uns schon heute beschäftigt, hat das Zeug dazu, Gesprächsstoff zu liefern und im besten Sinne anregend zu unterhalten."

Klimawandel und Polyamorie in Berlin

Kommt das gut an beim deutschen TV-Publikum, wenn Serien nicht im Hier und Jetzt, sondern in 25 Jahren spielen? Werden die bislang Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer von "Charité" die neuen Ansätze akzeptieren?

In der Serie werden beispielsweise die Folgen des Klimawandels gezeigt, Temperaturen bis 45 Grad und ergiebige Niederschläge sind normal geworden in der deutschen Hauptstadt; in der Medizin sind Krebsimpfungen, Alzheimerfrüherkennung und Telemedizin Standard und im Alltag bestimmen Algorithmen etwa das Einkaufen oder den Arztbesuch.

Doch auch gesellschaftlich und bei der Auswahl der Hauptfiguren ist vieles anders bei der Serie. Verkürzt gesagt: Weiße Heterosexuelle stehen mal nicht im Mittelpunkt. Deutschland wird ganz selbstverständlich als Einwanderungsgesellschaft gezeigt, etwa mit einem Gesundheitsminister Nguyen. Die Spitzenforscherin Maral Safadi hat außerdem keinen Mann, sondern eine Frau, und auch Polyamorie, eine Dreiecksbeziehung, ist Teil der Handlung.

Pandemie und Apokalypse auf Helgoland

Zehn Jahre früher als die neue "Charité"-Staffel spielt die "starbesetzte Endzeit-Vision "Helgoland 513"", wie es Sky selber nennt. Auch hier produzierte Ufa Fiction.

"Im Jahr 2039 dezimiert eine mörderische Pandemie die Menschheit. In Deutschland verschanzen sich 513 Einwohner auf der Insel Helgoland. Weil die Ressourcen knapp sind, muss für jedes Neugeborene ein anderer Bewohner sterben. Meldet sich kein Freiwilliger, bestimmt eine Rangliste aufgrund einer Bewertung von Leistungen und Fehltritten, wer getötet wird." Die Hauptrollen der Inselchefin und des einzigen Insel-Arztes spielen Martina Gedeck und Alexander Fehling, Regie führte Hollywood-Regisseur Robert Schwentke ("R.E.D. - Älter. Härter. Besser.").

"Mir gefiel das Sujet, der ungewöhnliche Umgang mit der Apokalypse", sagt Schauspielerin Gedeck in einem Sky-Interview zur Serie. Es gehe nicht nur um Horror und Zukunftsangst. Sie sehe auch das spielerische Element. "Die Figuren sind menschlich und es gibt eine komödiantische Ebene. Es ist wichtig, Leichtigkeit zu bewahren. Solange Menschen Freude empfinden, ist nichts verloren."/gth/DP/zb